Glossar
PA 6 - Polyamid 6
Polyamid 6 andere Bezeichnungen: Polycaprolactam, Perlon® Kurzzeichen: PA 6 CAS-Nr.: 25038-54-4 |
Wichtige Handelsnamen und Markeneigner AKULON® - Royal DSM N.V. CAPROLAN® - Allied Chemical & Dye Corp. CAPRON® - BASF DEDERON® - ehem. DDR-Warenzeichen-Verband f. Kunststofferzeugnisse ENKALON®- Polyamide High Performance (PHP) GmbH MIRAMID® - BASF PERLON® - I.G. Farbenindustrie TIMBRELLE® - Daun & Cie. Gruppe ULTRAMID® - BASF ZYTEL® - DuPont |
Geschichtliches Zu Beginn der 1930er Jahre gelang dem US-Chemiker Wallace H. Carothers (1896 - 1937) in den Forschungslaboratorien von DuPont (E. I. du Pont de Nemours in Wilmington, Delaware) die Synthese eines schmelzbaren Kunststoffs aus Adipinsäure und Hexamethylendiamin, der sich zu dünnen, elastischen Fäden ausziehen ließ und zu Garnen versponnen werden konnte. Bekannt wurde dieser Kunststoff unter dem Namen Nylon, der jedoch niemals geschützt worden ist. Anfang des Jahres 1938 präsentierte der deutsche Chemiker Paul Schlack (* 1897), der seit 1926 die Versuchsabteilung der Aceta GmbH leitete, seinerzeit ein Unternehmensverbund der IG Farben AG mit den Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG Berlin-Lichterfelde, einen dem Carother’schen Nylon sehr ähnlichen Kunststoff. Sein Ausgangsprodukt war ε-Caprolactam, mit dem auch Carothers schon experimentiert hatte, allerdings ohne greifbare Erfolge. Vielmehr hatte Carothers ε-Caprolactam als “nicht polymerisierbar“ beschrieben. Paul Schlacks neuer Kunststoff wurde vorerst Perluran genannt, später erhielt er den Namen Perlon L. Noch im Kriegsjahr 1943 wurde durch die IG Farben AG in Landsberg/Warthe (heute polnisch Gorzów Wielkopolski) die industrielle Herstellung aufgenommen, bereits 1940 war die Produktion in Großversuchsanlagen in Berlin und Premnitz (Havelland) erfolgreich angelaufen. Schon kurze Zeit nach Schlacks Präsentation seines neuen Kunststoffs fertigte im westsächsischen Oberlungwitz Louis Bahner (LBO) die ersten deutschen Damenstrümpfe aus Perlon®, doch zeitbedingt blieb das nur eine Episode. Denn das als rüstungswirtschaftlich wichtig eingestufte neue Material wurde zunächst nur zur Herstellung technischer Textilien, wie Karkassen und Fallschirmbespannungen, produziert. Erst nach dem Kriegsende fand Perlon® Eingang in zivile Anwendungsbereiche, vor allem in die Bekleidungsindustrie für die Feinstrumpf- und Wäscheproduktion, aber auch als vielseitiger Industriewerkstoff. Im Osten Deutschlands, wo die Wiege des Perlons® stand, wurde 1959 dafür der Name Dederon® eingeführt und geschützt. 1961 wurde dem Chemiker und Entwickler des Perlons®, Dr.Paul Schlack, der nach 1954 die Faserforschung der Farbwerke Höchst AG leitete und im Verlauf seiner lebenslangen Industrietätigkeit über 300 Patente angemeldet hatte, endlich die Ehrung zuteil, von der Technischen Hochschule (seit 1967 Universität) seiner Heimatstadt Stuttgart zum Honorarprofessor für Textilchemie ernannt zu werden. Hier starb er 1987 im Alter von fast 90 Jahren. |
Allgemeine Beschreibung Perlon® (Polyamid 6; PA 6) ist ein thermoplastischer, teilkristalliner und linear aufgebauter Kunststoff. Er schmilzt dünnflüssig, ohne sich dabei zu zersetzen, und lässt sich aus der Schmelze zu Fäden ziehen oder durch Düsen zu Endlosfasern pressen. Perlon® gehört zur Gruppe der homopolymeren Kunststoffe, die nur aus einer Monomerkomponente bestehen. Ihnen liegen ω-Aminosäuren oder ihre Lactame, die durch Wasserabspaltung sich bildenden, intramolekularen Säureamide, zugrunde. Die Unterscheidung der Vielzahl aller möglichen, einander sehr ähnlichen Polyamide erfolgt durch eine unkomplizierte, technische Nomenklatur. Sie gibt im Verbund mit PA für Polyamid (DIN EN ISO 1043-1) die Zahl der Kohlenstoffatome der jeweils zugrunde liegenden ω-Aminosäure an. Somit ist Perlon®, dem die ω-Aminocapronsäure (6-Aminohexansäure, H2N-[CH2]5-COOH) mit insgesamt 6 Kohlenstoffatomen im Molekül zugrunde liegt, durch das einfache Kürzel PA 6 klar ausgewiesen. |
Verarbeitung Perlon® (PA 6) ist sowohl als Fasermaterial als auch als Granulat verfügbar, das nach Aufschmelzen zu Halbzeugen weiterverarbeitet werden kann. Kompaktes PA 6 lässt sich problemlos spanabhebend bearbeiten, wenngleich Fertigungen durch Spritzguss oder Extrusion aus Granulat meist kostengünstiger realisierbar sind. Ebenso lässt sich Perlon® schweißen und verkleben. Für letzteres kommen sowohl Einkomponentenkleber auf Cyanacrylatbasis (Sekundenkleber) als auch Zweikomponentenkleber auf Epoxidharzbasis in Betracht. Ferner sind Formulierungen aus Ameisensäure und PA 6-Granulat zum Verkleben geeignet. |
Verwendung Die Hauptmenge des heute produzierten Perlons® (PA 6) wird durch Schmelzspinnen oder Extrudieren zu Fäden verarbeitet, die zu verwebbaren Garnen weiterverarbeitet werden. Großabnehmer dafür ist die Feinstrumpf- und Wäscheindustrie, ein beträchtlicher Teil wird auch zur Herstellung von Industrietextilen eingesetzt. Hierzu gehören Netze, Matten, Seile und Trosse sowie Fußbodenbeläge. PA 6-Fasermaterialien werden schließlich auch als Hader für spezielle, wasserunempfindliche und verschleißfeste Dokumentenpapiere, z.B. Geldscheinpapiere, verwendet. In vielen Anwendungsbereichen ersetzt kompaktes Perlon® metallische Werkstoffe. Derartige Kunststoffteile, die aus Granulaten meist durch Spritzguss hergestellt werden, korrodieren nicht und zeichnen sich durch geringes Eigengewicht aus. Hierzu gehören Massen-Formteile für den Maschinenbau, wie verschleißwidrige Gleitlager, Buchsen, Zahnräder und Laufrollen sowie schlagzähe Kraftstoffleitungen für den Fahrzeugbau und stabile, biegefeste Wellrohrschläuche für großlumige, bewegbare Verbindungen. Hingegen findet PA 6 wegen seines hohen Wasseraufnahmevermögens im Elektrobau kaum Anwendung. Etabliert hat sich PA 6 jedoch auch als Material für zahlreiche technische Nischenprodukte, wie Maschinenschrauben und Muttern, Dübel, Kabelbinder, Siebe, aber auch Saiten für Musikinstrumente und Sportgeräte. Schließlich haben sich auch Haushaltgegenstände aus PA 6 wegen ihrer einfachen Fertigungsmöglichkeiten durch Spritzguss und ihrer weitgehenden Unzerbrechlichkeit vielfach als langlebige und preiswerte Alternativen für herkömmliches Gerät bewährt. |
Chemische Eigenschaften Grundbaustein aller Polyamide ist die sog. Peptidbindung:
Sie bildet sich bei der Reaktion einer Aminogruppe mit einer Carboxylgrppe unter Wasseraustritt (Kondensationsreaktion):
Sie ist auch Grundbaustein aller natürlichen Eiweißkörper. Eiweiße werden deshalb auch als Peptide bezeichnet. Aminosäuren mit endständigen Aminogruppen H2N-(CH2)x-COOH, ω-Aminosäuren, reagieren miteinander unter Ausbildung der Peptidbindung, zu Homopolymeren. Infolge der starken Polarität der Peptidbindung bilden sich zwischen den fadenförmigen Polymermolekülen Wasserstoffbrückenbindungen aus, die die Struktur der Polyamide stabilisieren und ihnen ihre Schlagzähigkeit verleihen.
Wasserstoffbrücken sind auch für das hohe Wasserabsorptionsvermögen der Polyamide verantwortlich. Ausgangsprodukt für die Perlon®-Synthese ist ε-Caprolactam (Fp. +70 °C), das aus Cyclohexanon über sein Ketoxim und sich anschließender Säurespaltung großtechnisch gewonnen wird:
Cyclohexanon Cyclohexanonoxim ε-Caprolactam ε-Caprolactam setzt sich bei erhöhter Temperatur zunächst unter Ringöffnung mit Wasser zu ω-Aminocapronsäure um (Startreaktion):
Im nachfolgenden Reaktionsschritt setzt sich die freigesetzte ω-Aminocapronsäure unter Ausbildung von Peptidbindungen und Wasserabspaltung zu seinem Homopolymer um, dem Perlon® (PA 6), wie im folgenden Formelbild schematisch dargestellt ist:
Die Realisierung der zweistufigen Polymerisationsreaktion, eine sog. hydrolytische Polymerisation, erfolgt bei Temperaturen zwischen +240 und +275 °C in Rohröfen. Für PA 6, das zur Weiterverarbeitung zu qualitativ hochwertigen, verspinnbaren Fasermaterialien eingesetzt wird, werden möglichst einheitliche Molekülgrößen angestrebt, bei denen n im Bereich zwischen 130 und 250 liegt. Chemisch entspricht die Peptidbindung einer Säureamidstruktur, die generell hydrolytisch leicht spaltbar ist. Daher ist Perlon® gegenüber starken Säuren und Laugen nicht stabil. Hingegen ist es gegenüber den meisten Lösungsmitteln völlig beständig. PA 6 ist, wie alle Polyamide, brennbar, unterhält aber nicht selbst die Verbrennung. Es brennt mit gelblich geränderter Flamme, dabei schäumt das brennende Material auf und tropft. Die nach verbranntem Horn riechenden Verbrennungsgase enthalten hauptsächlich Ammoniak sowie verschiedene Amine. Daher können Perlon®-Reststoffe und -abfälle durch Verbrennen zwar entsorgt werden, der Rückgewinnung des wertvollen Materials, dem Recycling, ist aber unbedingt der Vorzug einzuräumen, das heute weitgehend industriell erfolgt. Voraussetzung ist Sortenreinheit des aufzuarbeitenden Materials. Das in Rest- und Abfallstoffen enthaltene Polyamid wird durch drucklose, hydrolytische Spaltung mittels Säuren oder Laugen depolymerisiert, das Monomere aus dem Reaktionssumpf extrahiert und so gereinigt wieder in den Polymerisationsprozess eingeführt. Vor allem von DuPont und Toyota ist in jüngster Zeit das industrielle Recycling von Polyamiden technisch vorangebracht worden. |
Handelsformen Neben Fasermaterialien für die Bekleidungsindustrie, für Industrietextilien und für technische Gewebe wird PA 6 als Granulat und daraus hergestellte Halbzeuge, wie Profile, Stangen, Rohr- und Schlauchmaterialien, gehandelt. Hinzu kommen gefüllte PA-6-Qualitäten, wie Glasfaser-gefülltes PA 6, die stark veränderte technische Daten aufweisen. Sie sind oft für spezielle Einsatzzwecke entwickelt worden. |
Technische Daten | |
allgemeine Eigenschaften | |
Dichte | 1,14 g / cm3 (ISO 1183) |
Farbe | opak, einfärbbar |
Wasseraufnahme | |
+23 °C, 50 % rel. Luftfeuchte | 2,6 - 3,4 % (ISO 62) |
Sättigung | 9,5 % (ISO 62) |
Sauerstoffindex (LOI) | 25 % |
Brandklasse | V-2 |
thermische Eigenschaften | |
Wärmeleitfähigkeit | 0,23 W / K · m (DIN 52 612) |
spez. Wärmekapazität | 1,7 J / g · K (IEC 1006) |
Schmelztemperatur | +220 °C (ISO 11 253) |
Zersetzungstemperatur | < +300 °C |
Wärmeformstabilität | |
(0,45 MPa) | +160 °C (ISO 75 HDT/B) |
(1,8 MPa) | +65 °C (ISO 75 HDT/A) |
lin. Wärmeausdehungskoeffizient | 0,7 - 1 · 10-4 / K (ISO 11 359) |
max. Einsatztemperatur | |
ständig | +90 °C |
kurzzeitig | +160 °C |
min. Einsatztemperatur | -40 °C |
elektrische Eigenschaften | |
Dielektrizitätskonstante (50 Hz) | 3,4 · 10-4 (IEC 60 250) |
Dielektrizitätskonstante (1 MHz) | 3,1 · 10-4 (IEC 60 250) |
dielektrischer Verlustfaktor (50 Hz) | 6,5 · 10-3 (IEC 60 250) |
dielektrischer Verlustfaktor (1 MHz) | 1,65 · 10-2 (IEC 60 250) |
Durchschlagfestigkeit (1mm) | 15 KV / mm (IEC 60 243-1) |
spezifischer Durchgangswiderstand | >1013 Ω · m (IEC 60 093) |
Oberflächenwiderstand | >1013 Ω (IEC 60093) |
Kriechstromfestigkeit CTI | 600 (IEC 60112) |
mechanische Eigenschaften | |
Shore-Härte D | 82 (ISO 868) |
Streckspannung | 30 MPa (ISO 527) |
Reißdehnung | 70 % (DIN 53455) |
Zug-Elastizitätsmodul | 3 GPa (ISO 527) |
Kugeldruckhärte | 160 MPa (DIN 53 456) |
Gleitreibungskoeffizient (p=0,05N/mm2; v= 0,6 m/s) gegen Stahl, gehärtet und geschliffen |
0,38 - 0,45 |
Gleitreibungsverschleiß (p=0,05N/mm2; v= 0,6 m/s) gegen Stahl, gehärtet und geschliffen |
0,23 μm / km |
chemische Beständigkeit | |
Schmierstoffe, Benzin | beständig |
Fette und Öle | beständig |
aliphatische Kohlenwasserstoffe | beständig |
cyclische Kohlenwasserstoffe | beständig |
aromatische Kohlenwasserstoffe | beständig |
Alkohole, Ketone | beständig |
halogenierte Lösungsmittel | beständig |
schwache organische Säuren | bedingt beständig |
Mineralsäuren | unbeständig |
Ammoniak, Amine | bedingt beständig |
Alkalilaugen | unbeständig |
Heißwasser | bedingt beständig |
UV-Strahlung | unbeständig |
Weiterführende Literatur (1) H. Klare. E. Fritsche, V. Gröbe, Synthetische Fasern aus Polyamiden, Akademie-Verlag Berlin (O), [1963] (2) H. Klare, Geschichte der Chemiefaserforschung, Akademie-Verlag, Berlin-O, [1985] (3) A. W. Birley, B. Haworth, T. Batchelor, Physics of Plastics, Carl Hanser Verlag, München [1992], ISBN 3-446-16274-7 (4) L. Bottenbruch, R. Binsack, (Hrsg.), Polyamide, Kunststoffhandbuch Bd. 3/4, Technische Plaste, Carl Hanser Verlag, München [1998], ISBN 3-446-16486-3 (5) J. A. Brydson, Plastic Materials, 7th. Ed., Butterworth-Heinemann Ltd. Oxford [1999], ISBN 0-7506-4132-0 (6) H.-G. Elias, Makromoleküle, 6. Aufl., Verlag Whiley VCH Weinheim [2002], ISBN 3-527-29959-9 (7) O. Schwarz, F. W. Ebeling (Hrsg.), Kunststoffkunde: Aufbau, Eigenschaften, Verarbeitung, Anwendung der Thermoplaste, Durolaste und Elastomere, 9. Aufl., Vogel Verlag, München [2007], ISBN 3-834-33105-8 |