Was ändert sich für Labor und Einkauf?
Die REACH-Verordnung ist das Rückgrat des europäischen Chemikalienrechts und Teil des umfassenden „European Green Deal“. Nun steht dem Regelwerk eine Reform bevor, die weitreichende Änderungen mit sich bringen wird. Ziel ist es, den Schutz von Mensch und Umwelt weiter zu verbessern und Innovationen in Richtung sichererer, nachhaltigerer Alternativen zu lenken. Unternehmen, insbesondere Labore und technische Einkäufer, sollten sich daher frühzeitig mit den kommenden Änderungen vertraut machen. Was die neue REACH-Verordnung bedeutet und welche konkreten Änderungen und Reformen auf alle Akteure zukommen, beleuchtet dieser Beitrag.
Was ist REACH – einfach erklärt?
In der komplexen Welt der chemischen Industrie und Labortechnik gibt es kaum eine Vorschrift, die so weitreichend und fundamental ist wie die REACH-Verordnung.
Vorher war der Markt von einer Vielzahl nationaler Gesetze und einer großen Datenlücke bei sogenannten „Altstoffen“ geprägt, die vor 1981 auf den Markt kamen. Für diese Substanzen fehlten oft grundlegende toxikologische Daten. REACH kehrte dieses Prinzip um und etablierte den Grundsatz „Ohne Daten kein Markt“.
Die Beweislast für die sichere Verwendung eines Stoffes liegt seitdem nicht mehr bei den Behörden, sondern bei den Unternehmen selbst. Hersteller und Importeure müssen vor dem Inverkehrbringen umfassende Daten vorlegen, um die Sicherheit ihrer Chemikalien zu belegen. Damit ist REACH im Chemikalienrecht der EU schon vor der anstehenden Reform der zentrale Pfeiler für den verantwortungsvollen Umgang mit chemischen Stoffen.
Was besagt die REACH-Verordnung?
Die aktuelle REACH-Verordnung stützt sich auf vier Hauptsäulen:
- Registrierung: Unternehmen müssen alle Stoffe, die sie in Mengen von > 1 t pro Jahr herstellen oder importieren, bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) registrieren.
- Bewertung: Die ECHA und die EU-Mitgliedsstaaten bewerten die von den Unternehmen eingereichten Informationen. Ziel ist es zu prüfen, ob ein Stoff Risiken birgt und ob die vorgeschlagenen Risikomanagementmaßnahmen ausreichen.
- Zulassung: Besonders besorgniserregende Stoffe (englisch: Substances of Very High Concerns, SVHC) unterliegen einem strengen Zulassungsverfahren. Ihre Verwendung ist nur für bestimmte, genehmigte Zwecke erlaubt, wenn es keine geeigneten Alternativen gibt und der sozioökonomische Nutzen die Risiken überwiegt.
- Beschränkung: Das Herstellen, Inverkehrbringen oder Verwenden bestimmter besonders gefährlicher Stoffe kann beschränkt oder vollständig verboten werden, wenn ihre Risiken nicht beherrschbar sind.
Wichtig ist die Rolle der nachgeschalteten Anwender (REACH). Das sind all jene Unternehmen oder Labore, die Chemikalien verwenden, jedoch nicht selbst herstellen oder importieren. Diese Anwender müssen nicht nur die Vorgaben aus dem Sicherheitsdatenblatt einhalten, sondern auch wichtige Informationen an den Lieferanten weitergeben, falls ihre spezifische Verwendung eines Stoffes nicht im Sicherheitsdatenblatt abgedeckt ist oder falls sie neue Erkenntnisse zu Gefahren oder Risiken haben.

Welche Produkte fallen unter REACH?
Ein häufiges Missverständnis ist, dass die REACH-Verordnung nur flüssige Chemikalien betrifft. Tatsächlich ist ihr Anwendungsbereich deutlich breiter und umfasst nahezu alle Industriezweige. Sie gilt für:
- Stoffe als solche (etwa reines Aceton).
- Stoffe in Gemischen (etwa Aceton als Bestandteil eines Reinigungsmittels).
- Stoffe in Erzeugnissen: Dies ist der entscheidende Punkt für den Einkauf von Laborbedarf. Als Erzeugnis gelten beispielsweise ein Schlauch, ein Behälter, eine Dichtung in einer Pumpe, die Beschichtung einer Arbeitsfläche oder das Kunststoffgehäuse eines Analysegeräts. Enthält ein solches Erzeugnis einen besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC) in einer Konzentration von mehr als 0,1 Gew.-% (w/w), bestehen strenge Informationspflichten entlang der Lieferkette. Lieferanten müssen ihre gewerblichen Kunden unaufgefordert darüber informieren. Für Einkäufer ist es daher von zentraler Bedeutung, nur Produkte zu beschaffen, deren Lieferanten ihre REACH-Pflichten einhalten, um die eigene REACH-Compliance sicherzustellen. Im Grunde fallen fast alle Chemikalien gemäß REACH unter die Regulierung, es sei denn, sie sind explizit ausgenommen, etwa radioaktive Stoffe.
Welche REACH-Pflichten haben Unternehmen?
Die konkreten Pflichten eines Unternehmens nach der REACH-Verordnung hängen von seiner Rolle innerhalb der Lieferkette ab. Die wichtigsten sind:
- REACH-Registrierung: Hersteller und Importeure müssen für Stoffe in Mengen von > 1 t pro Jahr ein umfassendes technisches Dossier bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) einreichen. Dies ist ein aufwendiger und kostenintensiver Prozess.
- Kommunikation in der Lieferkette: Das Sicherheitsdatenblatt nach REACH ist das zentrale Kommunikationsinstrument. Es informiert Anwender detailliert über Gefahren, Schutzmaßnahmen und sichere Verwendungsbedingungen (einschließlich relevanter Expositionsszenarien).
- Umgang mit SVHC-Stoffen: Identifiziert ein Unternehmen in seinen Produkten einen besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC) in einer Konzentration von > 0,1 Gew.-%, muss es seine Kunden darüber informieren. Diese Information ist entscheidend für die REACH-Compliance des gesamten Produkts und muss innerhalb von 45 Tagen nach Anfrage auch an Verbraucher weitergegeben werden.
- Meldung an die SCIP-Datenbank: Seit 2021 müssen Unternehmen, die Erzeugnisse mit SVHC-Stoffen auf den Markt bringen, diese in der SCIP-Datenbank der ECHA melden. SCIP steht für „Substances of Concern In articles as such or in complex objects (Products)“. Diese Datenbank soll die Transparenz für Verbraucher erhöhen und insbesondere Abfallverwertern helfen, gefährliche Stoffe im Müll zu identifizieren und aus dem Recyclingkreislauf auszuschleusen. Die Umsetzung der REACH-Vorgaben in der Praxis erfordert ein systematisches Stoffdatenmanagement und eine enge Abstimmung mit den Lieferanten entlang der gesamten Lieferkette.
Ist ein REACH-Zertifikat Pflicht?
Unternehmen belegen ihre Konformität durch eigene Erklärungen, aktuelle Sicherheitsdatenblätter sowie Informationen zu besonders besorgniserregenden Stoffen (SVHC). Einkäufer sollten daher nicht nach einem Zertifikat fragen, sondern nach einer aussagekräftigen „Konformitätserklärung“. Diese sollte bestätigen, dass das Unternehmen seine REACH-Pflichten kennt, seine Lieferkette kontrolliert und alle relevanten Informationspflichten erfüllt. Zusätzliche Informationen zur Bedeutung der Verordnung für die Labor- und Betriebstechnik stellen wir Ihnen auch in unserem Beitrag: Die REACH-Verordnung als Maßstab für Produktionsstandards vor.
Die große REACH-Reform: Was ändert sich wirklich?
Die neue REACH-Verordnung wird nach er Reform die bisher strengste Version des europäischen Chemikalienrechts sein. Ziel ist es, Lücken zu schließen und den Schutz von Mensch und Natur zu stärken. Die wichtigsten geplanten Neuerungen der Reform im Überblick:
- Umfassendes PFAS-Verbot: Einer der spektakulärsten Punkte der Reform ist das geplante, weitreichende PFAS-Verbot in der EU. Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sind eine Gruppe von mehr als 10.000 „Ewigkeits-Chemikalien“, die aufgrund ihrer extremen Langlebigkeit und potenziellen Schädlichkeit in den Fokus geraten sind. Wegen ihrer außergewöhnlichen chemischen und thermischen Beständigkeit werden sie in unzähligen Laborprodukten wie Dichtungen und Schläuchen (PTFE), Schlauchverbindern, Ventilen, Membranen und Beschichtungen verwendet. Aktuell ist noch nicht festgelegt, welche Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen von der Reform betroffen sind – ein Verbot könnte die Materialauswahl jedoch erheblich erschweren.
- Strengerer Umgang mit SVHC-Stoffen: Die Kriterien zur Identifizierung von SVHC-Stoffen sollen um zusätzliche Gefahrenklassen erweitert werden. Dazu zählen beispielsweise hormonell wirksame Stoffe (endokrine Disruptoren), aber auch Stoffe, die persistent, mobil und toxisch (PMT) sind. Das Ziel der geplanten Neuerung und Reform ist klar: Gefährliche Stoffe sollen schneller identifiziert und reguliert werden. Dies erhöht die Notwendigkeit, SVHC-Stoffe zu ersetzen.
- Reformiertes Zulassungsverfahren: Die REACH-Zulassung für SVHCs soll gestrafft werden. Es wird erwartet, dass Ausnahmeregelungen seltener gewährt und der Nachweis fehlender Alternativen strenger geprüft wird. Dies erhöht den Druck zur Substitution gefährlicher Stoffe weiter.
Die aktuelle REACH-Verordnung bildet das Fundament, auf dem diese Verschärfungen und Reformen aufgebaut werden.
Wann tritt die neue REACH-Verordnung in Kraft?
Die Europäische Kommission hatte ursprünglich geplant, die Gesetzesvorlage für die REACH-Reform Ende 2022 vorzulegen. Doch intensive Debatten zwischen Industrie, Umweltverbänden und Politik über die wirtschaftlichen Auswirkungen und den angemessenen Grad der Regulierung haben den Prozess verzögert.
Der Vorschlag befindet sich weiterhin in der Ausarbeitung. Es wird nun erwartet, dass die neue REACH-Verordnung in der aktuellen Legislaturperiode des EU-Parlaments, die bis 2029 andauert, überarbeitet und verabschiedet wird. Ein genaues Datum steht zwar noch nicht fest, aus dem Arbeitsprogramm der Kommission geht jedoch hervor, dass eine gezielte Überarbeitung für das vierte Quartal 2025 vorgesehen ist. Unternehmen sind deshalb gut beraten, die Entwicklungen der Reform genau zu verfolgen und sich schon jetzt proaktiv vorzubereiten.
Fazit: Proaktive REACH-Compliance als Zukunftsstrategie
Die anstehende Reform und Überarbeitung der REACH-Verordnung ist weit mehr als nur eine juristische Formalität. Sie ist ein klares Signal in Richtung einer nachhaltigeren und transparenteren Chemiepolitik in Europa. Für Unternehmen bedeutet die Reform allerdings, dass ein passives Abwarten riskant ist.
Gewiss ist die REACH-Verordnung für Unternehmen bereits vor der Reform eine Herausforderung, zugleich aber auch eine Chance, sich durch verantwortungsvolles Handeln und innovative, sichere Produkte im Wettbewerb zu positionieren.
Bildquellen:
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Reichelt Chemietechnik Magazin





