Seit der zweiten Phase der industriellen Revolution ab den 1870er Jahren ist eine moderne Welt ohne Gummi kaum denkbar. Das Material begegnet einem überall dort, wo etwas dichthalten muss, um etwa wie bei Gummihandschuhen Unerwünschtes draußen oder Erwünschtes drinnen zu halten, wie dies bei Dichtungen oder der Luft im Reifen der Fall ist. Um thermoplastische Naturkautschuke in elastomere Kunststoffe zu überführen, werden diese vulkanisiert. Gummi wird so zu einem wichtigen Werkstoff.
Natürliches Latex und Gummi
Der umgangssprachliche Begriff Gummi bezieht sich auf ein Elastomer, das ursprünglich aus einem Milchsaft von Pflanzen gewonnen wurde. Dieser Milchsaft wird botanisch auch als Latex bezeichnet.
Der chemische Begriff beschreibt darüber hinaus generell eine Emulsion von polymeren Partikeln in einer wässrigen Phase, und allgemein werden als Latex auch das daraus produzierte Gummi und die daraus hergestellten Gegenstände bezeichnet. Heute entstehen daraus beispielsweise Gummischläuche wie Latex-Schläuche, Dichtungen und Stopfen, aber auch Halbzeuge wie Gummiplatten und Gummimatten.
Aus was besteht Latex? Wie wird der Milchsaft hergestellt?
Natürlicher Latex wird von verschiedenen Pflanzenfamilien hergestellt, besonders prominent von den Wolfsmilchgewächsen. Dieser klebrige und unverdauliche Milchsaft wird von bestimmten Milchsaftzellen oder Röhrenzellen der Pflanze produziert und dient als natürlicher Fraßschutz, erst recht, wenn er toxische oder irritierende Stoffe enthält. Der Naturlatex wird gewonnen, indem die in der Rinde gelegenen Milchröhren angezapft werden.
Die Isoprene sind Kohlenwasserstoffe, die sich aus dem Baustein Isopren (2-Methylbuta-1,3-dien) zusammensetzen und Bestandteile sehr vieler Naturstoffe sind. In der Pflanzenwelt sind Terpene in sehr großen Mengen vorhanden, zum Beispiel in Form von Harzen, und auch im Menschen kommen sie als Bestandteil von Lipiden und Steroid-Hormonen vor. Isopren wird beispielsweise in so großen Mengen von Bäumen als Aerosol freigesetzt, dass es die blaue Färbung bewaldeter Hügelketten verursacht. So lassen beispielsweise die Eukalyptuswälder der Blue Mountains an der Ostküste von Australien bei entsprechendem Tageslicht die Gebirgsformation bläulich schimmern.
Ein anderes polymeres Isopren findet sich im Latex des in Südostasien beheimateten Guttaperchabaumes, das ebenfalls in geringerem Maß industriell genutzt wird. Dieses unterscheidet sich vom Latex des Gummibaums, indem es vorwiegend trans-konfiguriertes 1,4-Polyisopren enthält, das nur aus etwa 1500 monomeren Einheiten besteht. Guttapercha ist chemisch resistenter als Kautschuk, aber luftempfindlich und weniger elastisch. Dafür ist es nach dem Erhitzen formbar und wird zum Beispiel in der Zahntechnik verwendet.
Erste praktische Anwendungen von Latex
Eine der ersten praktischen Anwendungen von Latex nutzte den Milchsaft des Maulbeerbaums Castilla elastica, aus dem im präkolumbianischen Mittelamerika schon vor tausenden von Jahren Gummibänder, Gefäße, Sandalen oder Bälle für das mesoamerikanische Ballspiel hergestellt wurden. Nach der blutigen Eroberung Mexikos durch Spanien war eine Vorführung des Ballspiels vor Kaiser Karl V. durch eine aztekische Mannschaft wohl die erste Nutzung von Gummi in Europa, aber 200 Jahre lang auch fast die einzige.
Das änderte sich erst, als der französische Forschungsreisende Charles-Marie de la Condamine (1701 – 1774) in den 1740er Jahren bei den indigenen Völkern des Amazonasgebiets beobachtete, wie Kautschuk gewonnen wurde und wozu es genutzt werden konnte. Wie aus dem plastisch verformbaren, klebrigen Kautschuk ein elastisches Gummi erzeugt werden konnte, wussten die Ureinwohner Mittelamerikas schon lange vor der Entdeckung durch Christoph Kolumbus. Sie verwendeten dazu pflanzliche Extrakte, die aber in anderen Erdteilen nicht bekannt oder einfach verfügbar waren. Trotzdem gab es auch in Europa und Nordamerika, die mitten in der Industrialisierung steckten, schon bald zahlreiche Anwendungen für den wasserabweisenden und beliebig formbaren Latex.
Goodyear und die Entwicklung der Vulkanisierung
Eine weitere frühe Anwendung des Gummis waren aufblasbare Rettungsringe, die mit einem Ventil verschlossen waren. Als der amerikanische Erfinder Charles Goodyear (1800 – 1860) in den 1830er Jahren ein neues Ventil dafür entwickelt hatte, versuchte er, dieses an den Kunden Roxbury Rubber zu bringen. Allerdings hatte dieser keinen Bedarf mehr, da alle vorhandenen Schwimmwesten in der Sommerhitze zu einer klebrigen Masse verschmolzen waren. Dies brachte Goodyear auf die Idee, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem die Härte und Klebrigkeit des Gummis besser kontrolliert werden konnten.
Bei einem seiner Versuche entdeckte er, dass die Behandlung mit Salpetersäure das Gummi nicht mehr so klebrig machte, aber trotzdem schmolz es bei Hitze. Goodyear erfuhr von Arbeiten des deutschen Chemikers Friedrich Wilhelm Lüdersdorff (1801 – 1886) und des amerikanischen Erfinders Nathaniel Hayward (1808 – 1865). Beide hatten unabhängig voneinander beobachtet, dass die Zugabe von Schwefel dem Naturkautschuk die Klebrigkeit nimmt.
Nachdem Goodyear dieses Verfahren optimiert hatte, konnte ab 1844 Gummi industriell produziert werden. Doch er selbst profitierte kaum davon. Die Firma, die seinen Namen trägt, die Goodyear Tire & Rubber Company, wurde erst knapp 40 Jahre nach seinem Tod gegründet.
Da bei dem Goodyear-Prozess wie in Vulkanen Hitze und Schwefel beteiligt waren, schlug der Erfinder, Maler und Autor William Brockedon (1787 – 1854) dafür den prägnanten Namen „Vulkanisation“ vor. Der meistverbreitete Prozess benutzt einen Massenanteil von 1,8 – 2,5 % Schwefel und eine Temperatur zwischen +120 bis +160 °C, und 2-Mercaptobenzothiazol oder verwandte Verbindungen helfen bei der Beschleunigung der Reaktion.
Wie wird Naturkautschuk vulkanisiert?
Chemisch funktioniert die Aushärtung des Rohkautschuks nach dem Goodyear-Verfahren, indem die Schwefelatome oder -ketten, die Allyl-Gruppen (-CH=CH-CH2-) der Isoprenoide, miteinander verknüpfen, wobei dies nur bei etwa jeder hundertsten oder tausendsten Isopren-Einheit geschieht.
Eine weitere Anwendung des Schwefelvulkanisationsprozesses ist die Inverse Vulkanisierung, bei der polymere Sulfide durch Kohlenwasserstoffe miteinander verbunden werden. Diese Technik wird etwa bei der Herstellung von Lithium-Schwefel-Akkumulatoren verwendet.
Eine Vulkanisierung lässt sich selbst durchführen, indem man ein Loch in einem Fahrradschlauch flickt. Die Schläuche sind meist aus dem kostengünstigen, luftdichten Butyl-Kautschuk hergestellt, aber durch Anreiben können reaktionsfähige Moleküle freigesetzt werden. Die Flicken bestehen meist aus nicht vulkanisiertem Rohkautschuk, der von einer Schutzfolie vor dem Luftsauerstoff geschützt ist. Der Vulkanisierkleber enthält Klebstoff, um den Flicken erst einmal festzuhalten, und, wie man riechen kann, Schwefel, der die Makromoleküle allmählich miteinander vernetzt.
Auch wenn über lange Zeit hinweg die Schwefelbrücken durch Luftsauerstoff ersetzt werden und das Gummi langsam brüchig wird, ist die Vulkanisierung sehr schwierig gezielt rückgängig zu machen. Um mit dem Abfall von Reifen fertig zu werden, kann auch ein Prozess der De-Vulkanisierung genutzt werden, bei dem die Schwefelbrücken thermisch und mit Hilfe von Ultraschall aufgebrochen werden. Dieser Prozess hat sich aber noch nicht im großen Rahmen durchgesetzt. Gleichwohl gilt die De-Vulkanisierung als erfolgsversprechendes Recyclingverfahren für Altreifen. Das Material lässt sich wieder in neuen Kautschukmischungen verwenden.
Die Suche nach einem Ersatz für den Naturkautschuk
Die Nachfrage nach dem begehrten Naturstoff rief bald „Rubber Barons“ auf den Plan, die zum Teil auch nicht vor Sklaverei und Völkermord zurückschreckten. Da es immer wieder politische Schwierigkeiten mit der Lieferung von Kautschuk aus dem Amazonasgebiet gab, war das Interesse groß, alternative Kautschukquellen zu finden. Solche Synthesekautschuke lassen sich beispielsweise auf Erdöl-Basis herstellen.
Nachdem der englische Chemiker Charles Hanson Greville Williams (1829 – 1910) Isopren aus Kautschuk isoliert und die Summenformel C5H8 bestimmt hatte, konnte der Franzose Gustave Bouchardat (1842 – 1918) im Jahr 1879 aus Isopren mit Hilfe von Salzsäure wieder eine gummiartige Substanz herstellen. Im Jahr 1901 gelang dem russischen Chemiker Iwan Kondakow (1857 – 1931) dann die erste Synthese von (Methyl-)Kautschuk aus 2,3-Dimethylbutadien, die vom deutschen Chemiker Fritz Hofmann (1866 – 1956) zu einem industriellen Verfahren entwickelt wurde. Der Methylkautschuk hatte aber nicht die notwendige Elastizität, um den Naturkautschuk zu ersetzen.
BUNA und der Durchbruch der Synthesekautschuke
Daher war der erste wirtschaftlich nutzbare Kautschuk erst jener, den die deutschen Chemiker Walter Bock (1895 – 1948) und Eduard Tschunkur (1874 – 1946) bei der IG Farben im Jahr 1926 entwickelten. Unter dem Namen „BUNA” entstand ein Emulsionspolymerisat von 1,3-Butadien und Styrol, das ebenso wie der Methylkautschuk auch rein thermisch vulkanisiert werden kann.
Chloropren-Kautschuk, bekannt als Neopren, wurde in den 1930er Jahren von der US-Firma DuPont entwickelt und zeichnet sich durch hohe chemische Beständigkeit aus. Später firmierte der Werkstoff unter „BUNA-S“ und zählt heute noch zu den bedeutendsten synthetischen Elastomeren. Der technische Terminus „BUNA“ hat sich seither im allgemeinen Sprachgebrauch als Synonym für Synthesekautschuke gehalten.
Unverzichtbar ist synthetischer Kautschuk in zahlreichen Industrieprodukten, etwa in Förderbändern, Antriebsriemen, Kunststoffschläuchen, Dichtungen und mehr. Vielfach sind dort spezifische Eigenschaften wie Elastizität, Witterungsbeständigkeit oder chemische Beständigkeit gefordert. Dabei werden häufig Materialien aus Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR), Nitril-Kautschuk (NBR) oder Chloropren-Kautschuk (CR) verwendet.
In nahezu allen heutigen Maschinen wird Gummi zum Kraftübertragen, Dichten, Isolieren und Dämpfen benutzt. Der Einfluss der Vulkanisation auf die menschliche Mobilität und das tägliche Leben ist deshalb kaum zu überschätzen.
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