Arbeiten mit flüssigem Stickstoff – Einsatzbereiche und Anwendungshinweise

Als Gas ist Stickstoff mit einem Anteil von etwa 78 % Hauptbestandteil der Luft. Flüssiger Stickstoff ist im Alltag eher selten anzutreffen, jedoch ist er ein bewährtes Kühlmittel mit vielen Vorteilen. Flüssigstickstoff ist relativ preiswert, reagiert kaum mit anderen Stoffen und ist frei von Abfallprodukten. Dies prädestiniert ihn für Anwendungsbereiche wie die chemische Industrie, die Lebensmittelindustrie oder die Medizintechnik.

Was ist flüssiger Stickstoff?

Flüssiger Stickstoff ist eine farblose, geschmack- und geruchlose Flüssigkeit mit einer Dichte von 0,806 g/cm3. Bei einem Normaldruck von 1,013 bar beträgt die Siedetemperatur dieses Stoffes  -196 °C. Zum Vergleich: Flüssiger Sauerstoff siedet bei -183 °C.

Die Abkürzung für flüssigen Stickstoff lautet LN oder LN2 (englisch „liquid nitrogen“). Tiefkalt verflüssigter Stickstoff entzieht dem Kühlgut Wärme und verdampft. Im Sinne der Gefahrgutverordnung Straße gilt der Stoff als Gefahrgut.

Herstellung des verflüssigten Gases

Um Flüssigstickstoff herzustellen, wird Luft auf 200 bar verdichtet und die entstehende Wärme abgeführt. Wird das unter Druck gesetzte Gas schnell entspannt, erniedrigt sich dessen Temperatur. Dieser Effekt wird nach seinen Erfindern James Prescott Joule (1818 – 1889) und William Thomson (1824 – 1907) als Joule-Thomson-Effekt bezeichnet. Mehrmaliges Wiederholen der Kompression und Entspannung führt im sogenannten Linde-Verfahren zu flüssiger Luft. Durch anschließende fraktionierte Destillation lassen sich neben Flüssigstickstoff auch flüssiger Sauerstoff und flüssiges Argon gewinnen.

Der britische Physiker James Prescott Joule (1818 - 1889)
Der britische Physiker James Prescott Joule (1818 – 1889)

Was ist beim Arbeiten mit Flüssigstickstoff zu beachten?

Beim Verdampfen dehnt sich das verflüssigte Gas stark aus. Sein Volumen steigt bei der Änderung des Aggregatzustandes um einen Faktor von etwa 700. Deshalb muss beim Arbeiten und Aufbewahren von Flüssigstickstoff für einen Druckausgleich mit der umgebenden Atmosphäre gesorgt werden.

Verdampft 1 l flüssiger Stickstoff, nimmt er ein Volumen von etwa 700 l ein. Er mischt sich mit der Luft, wobei die Sauerstoffkonzentration sinkt. Dies kann in geschlossenen Räumen zu Sauerstoffmangel führen.

Da die Siedetemperatur von Stickstoff niedriger ist als die von Sauerstoff, kann Sauerstoff aus der Luft an LN2-Leitungen kondensieren und in offene, mit tiefkaltem Flüssigstickstoff gefüllte Behälter tropfen. Bereits Konzentrationen von mehr als 5 % Sauerstoff können beim Kontakt mit oxidierbaren Stoffen eine Explosion auslösen.

Der unsachgemäße Umgang mit flüssigem Stickstoff kann wegen des sehr niedrigen Siedepunkts zu Erfrierungen führen. Deshalb sollte beim Arbeiten mit diesem Kühlmittel geeignete Schutzausrüstung getragen werden, dazu gehören Handschuhe, Schürze sowie ein Gesichtsschutz. Nur geschultes Personal sollte die Arbeiten ausführen.

Welche Stickstoffbehälter für welchen Zweck?

Tiefkalt verflüssigter Stickstoff wird in Stickstofftanks, Kryobehältern oder Dewargefäßen transportiert und gelagert. Anforderungen an Stickstoffbehälter sind in verschiedenen Normen festgelegt, je nachdem, ob es sich um ortsfeste oder ortsbewegliche Behälter handelt und welches Volumen der Behälter besitzt. Sie müssen die Bestimmungen der Druckgeräterichtlinie (PED, aus dem Englischen „pressure equipment directive“) erfüllen und solche, die für den Transport bestimmt sind, auch die der Transportgeräterichtlinie (TPED).

Dewargefäß aus XLPE-Plastic Kryogenröhrchen aus PP

Stickstofftanks als Speicherbehälter sind in der Regel ortsfeste, zylindrische, vakuumisolierte, doppelwandige Druckbehälter. Der innere Zylinder des Tanks besteht aus einem kaltzähen Stahl, der besonders für den Einsatz bei tiefen Temperaturen entwickelt wurde. Der äußere Zylinder ist aus Kohlenstoffstahl (auch Karbonstahl genannt), der mit einer Beschichtung als Korrosionsschutz versehen ist.

Speichertanks für Stickstoff werden in Größen von 3.000 bis 80.000 l angeboten. Ein 3.000-Liter-Stickstofftank besitzt eine Höhe zwischen 3,5 und 6 m und einen Durchmesser zwischen 1,5 und 2 m. Bei einem 80.000-Liter-Tank betragen die Höhe zwischen 10,5 und 12 m und der Durchmesser zwischen 3 und 3,5 m. Bei Bedarf wird der tiefkalt verflüssigte Stickstoff mit Spezialtankfahrzeugen angeliefert und in den Tank gepumpt.

Der Speicherbehälter verfügt in der Regel über verschiedene Entnahmestellen, an denen Stickstoff entweder als Flüssigkeit oder als Gas entnommen werden kann. Für den Weitertransport ist die Schlauchtechnik unersetzlich. Kombiniert mit Druckschläuchen oder Flüssiggasschläuchen lässt sich Stickstoff in beiden Aggregatszuständen bis zur Verwendungsstelle transportieren. Dafür sind Kunststoff-Schläuche und Wellrohre aus PFA mit einer Temperaturbeständigkeit von -260 bis +260 °C prädestiniert. Ebenfalls geeignet sind Edelstahl-Ringwellschläuche, die vorkonfektioniert mit Anschlüssen in verschiedenen Nennweiten und Längen Verwendung finden.

PFA-Chemieschlauch Edelstahl-Vakuumschlauch - mit Kleinflansch

Kryobehälter sind doppelwandige Behälter aus Edelstahl oder Aluminium, deren Zwischenräume evakuiert sind. Die Volumina dieser Stickstoffbehälter liegen zwischen 100 und 1.000 l. Sie können ortsbeweglich oder ortsfest sein. Ortsbewegliche Kryobehälter sind in der Regel mit einem Transportschutzrahmen, Fahrrollen, einer Druck- und Füllstandsanzeige sowie einer integrierten Sicherheitseinrichtung am Behälterhals ausgestattet. Kryogenbehälter sind selbst in Form von Röhrchen verfügbar. In diesen kleinen Laborbehältern aus PP lassen sich verflüssigte Gase und Bioflüssigkeiten bei Temperaturen bis zu -196 °C lagern und in speziellen Ständern aufbewahren.

Bei Dewargefäßen handelt es sich um verspiegelte, doppelwandige, evakuierte Gefäße aus Glas oder Edelstahl. Aus Sicherheits- und Arbeitsschutzgründen besitzen Dewargefäße eine Schutzumhüllung aus Edelstahl, Aluminium oder Blech. Die evakuierten Behälterwände reduzieren die Wärmeübertragung durch Konvektion. Durch die Verspiegelung wird die Wärmeübertragung durch Wärmestrahlung reduziert.

Dewargefäße werden als Stickstofftank im Labor verwendet. Es gibt sie in verschiedenen Größen von 0,5 l bis 10 l und in Ausführungen mit Griff oder Tragebügel, mit oder ohne Deckel und mit engen oder weiten Halsöffnungen. Zum Umfüllen von Stickstoff eignen sich Behälter mit einer engen Öffnung besser, während zum Eintauchen von Objekten solche mit einer weiten Öffnung bevorzugt werden.

Ein Versorgungstank mit Flüssigstickstoff
Ein Versorgungstank mit Flüssigstickstoff

Anwendungsbereiche von Flüssigstickstoff

Stickstoff in der Medizintechnik

In der Medizin dient Flüssigstickstoff dazu, Blut, Eizellen, Sperma, Zellen und Impfstoffe aufzubewahren und zu transportieren. Die Dermatologie benutzt dieses Kühlmittel zum Vereisen von Warzen und Behandeln von Hautirritationen. Neben flüssigem Helium wird Flüssigstickstoff genutzt, um Magneten in der Kernspintomographie zu kühlen.

Bodenverfestigung im Tiefbau

Im Tiefbau wird Flüssigstickstoff eingesetzt, um den Boden zu vereisen. Durch Einleiten des Kühlmittels gefriert das Bodenwasser, der Bodengrund verfestigt sich und wird wasserundurchlässig. Dadurch wird die Baugrube stabiler und ist vor Wassereintritt geschützt.

Passgenaue Bauteile im Maschinenbau

Tiefkalt verflüssigt ist der Stoff ein bewährtes Kühlmittel beim Kaltdehnen oder Kaltschrumpfen. Bei diesen Verfahren werden zwei Metallteile, wie Welle und Ring, miteinander verbunden. Das innenliegende Bauteil wird abgekühlt, wobei es einige Mikrometer schrumpft, dann wird das außenliegende Teil aufgeschoben. Beim anschließenden Erwärmen dehnt sich das abgekühlte Teil wieder aus, wodurch sich die Antriebselemente aufeinanderpressen und verbinden. Kaltdehnen wird angewandt im Maschinenbau, der Automobil-, Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie.

Keilwelle aus Stahl oder Edelstahl - ähnlich DIN 14 Keilnabe - DIN 14

 

Kryogenes Frosten von Lebensmitteln

Kryogenes Frosten mit Flüssigstickstoff ist ein etabliertes Verfahren, um Obst, Gemüse oder Torten einzufrieren. Beim schnellen Abkühlen entstehen sehr kleine Eiskristalle, wodurch die Produkte Geschmack, Nährstoffgehalt und Farbe bewahren, während sich beim langsamen Einfrieren große Eiskristalle bilden, die zur Zerstörung der Zellen von Obst und Gemüse führen.

Auch in die „moderne Küche“ hat der Stoff Einzug gehalten. Mit diesem Kühlmittel lassen sich Sorbets und Speiseeis in nur wenigen Sekunden herstellen. In die Schlagzeilen geraten sind jedoch die mit flüssigem Stickstoff übergossenen Maisflips, auch „Smoke Pops“ genannt, die beim Verzehr den sogenannten „Dragon Breath“ verursachen. Bei Kontakt mit der warmen Mundhöhle verdampft der Stickstoff, wodurch der eigene Atem an den Atem eines Drachen erinnert. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt beim Verzehr dieses Lebensmittels vor Gefrierbrandverletzungen von Zunge und Mundschleimhaut und möglichen Zahnschäden.

Hochtemperatursupraleiter

Hochtemperatursupraleiter werden mit dieser Kühlflüssigkeit auf die Temperatur gekühlt, bei der die Supraleitung stattfindet. Supraleitung wird genutzt, um starke Magnetfelder zu erzeugen für Kernspintomographen in der medizinischen Diagnostik oder in Teilchenbeschleunigern für die Grundlagenforschung.

Weitere Einsatzgebiete

Auch bei der Tieftemperaturbehandlung von metallischen Bauteilen und Werkzeugen kommt flüssiger Stickstoff zum Einsatz. Durch langsames Abkühlen mit Hilfe des verflüssigten Gases, 1 bis 2  °C/min, und ebenso langsames Aufwärmen ändert sich das metallische Gefüge und der gebundene Kohlenstoff verteilt sich gleichmäßiger. Dadurch lassen sich die Verschleißbeständigkeit erhöhen und Spannungen im Material abbauen. Angewandt wird dieses Verfahren bei Zerspan-, Stanz-, Biege-, Präge- und Umformwerkzeugen. Bei der Tieftemperaturbehandlung von Blasinstrumenten stellten Musiker einen besseren Klang, ein besseres Ansprechen der Töne sowie eine stabile Tonlage fest.

Das kryogene Frosten mit Flüssigstickstoff ist eine geläufige Methode zum Einfrieren von Obst und Gemüse
Das kryogene Frosten mit Flüssigstickstoff ist eine geläufige Methode zum Einfrieren von Obst und Gemüse

Flüssiger Stickstoff wird auch in Kühlfallen verwendet, um kondensierbare Gase aus einem Gasgemisch abzutrennen. Damit werden Pumpen vor Feuchtigkeit oder aggressiven Gasen geschützt. In der chemischen Industrie dienen sie dazu, Lösungsmittel aus Gasströmen abzuscheiden. Dadurch wird die Emission in die Atmosphäre verringert und das Lösungsmittel kann zurückgewonnen und wieder eingesetzt werden. In der Vakuumtechnik werden Kühlfallen genutzt, um Restgase auszukondensieren und dadurch das Vakuum im Rezipienten zu verbessern. Eine weitere Anwendung ist die Kühlung von Infrarotsensoren, um deren Empfindlichkeit zu erhöhen.

Flüssiger Stickstoff ist in vielen verschiedenen Industriezweigen, in Forschung und Medizin ein sicheres und wichtiges Kühlmittel, solange Sicherheitshinweise bei Transport und Lagerung eingehalten werden.

Bild-Quellen: 
Beitragsbild | © Valeriia – stock.adobe.com
Porträt von James Prescott Joule | © John Collier, Public domain, via Wikimedia Commons 
Versorgungstank mit Flüssigstickstoff | © malajscy – stock.adobe.com
Kryogenes Frosten mit Flüssigstickstoff | © Aleksey Telesh – stock.adobe.com