Die Klebtechnik ist ein unverzichtbares Fügeverfahren für zahlreiche industrielle Anwendungen – vom Einsatz als Alltagskleber bis zur Herstellung von Hightech-Materialien. Dabei befindet sich der Kleber in einem ständigen Innovationsprozess. Für die Entwicklung verbesserter Klebstofflösungen ist die Oberflächenenergie eine zentrale physikalische Größe. Doch was genau ist die Oberflächenenergie?
Einflussgrößen in der Klebtechnik
Der Einsatz von Substanzen mit Klebeeigenschaften hat eine jahrtausendalte Tradition in der menschlichen Kultur. Einer der ältesten bekannten und geschichtlich bedeutenden Klebstoffe ist Birkenpech – ein teerartiger Rückstand einer Destillation aus Birkenrinde, der stark haftende Eigenschaften besitzt. Der Birkenpechkleber wurde zum Beispiel in Sachsen-Anhalt in Klingeneinsätzen gefunden und war mindestens 115.000 Jahre alt.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Klebtechnik weiter – bis hin zu modernen, synthetischen Klebern, die hinsichtlich des Materials, der Oberflächenbeschaffenheit und der Anwendung angepasst sind. Um die maßgeschneiderte Entwicklung der Klebverbindungen zu gewährleisten, gibt es in der Klebtechnik spezielles Know-how über die Einflussgrößen, die den Klebevorgang beeinflussen. Einige dieser Begriffe werden in diesem Artikel allgemeinverständlich erläutert.
Der Unterschied liegt vor allem im Sprachgebrauch: Die Einheit der Oberflächenenergie ist mJ/m2 und wird für die Festkörperoberfläche verwendet. Die Oberflächenspannung hat jedoch die äquivalente Einheit mN/m (N = J/m) und wird zur Beschreibung von Flüssigkeiten genutzt.
Die Oberflächenenergie wirkt sich erheblich auf das Kleben aus. Ist die Oberflächenenergie des Festkörpers höher als die Oberflächenspannung der aufgebrachten Flüssigkeit, erfolgt eine gute Benetzung. Unter Benetzung wird die Ausbildung einer neuen Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Festkörper verstanden. Bei einer minimalen Benetzung hingegen zieht sich die Flüssigkeit tropfenförmig zusammen, wie etwa Wasser auf PTFE (Polytetrafluorethylen) – einem Kunststoff mit niedriger Oberflächenenergie.
Bei Glas- oder Metalloberflächen, deren Oberflächenenergie höher ist als die Oberflächenspannung von Wasser, erfolgt eine nahezu vollständige Benetzung, die sogenannte Spreitung (siehe folgende Abbildung).
Die gute Haftung eines Klebstoffs hängt aber auch von der wirksamen Oberfläche des Festkörpers ab. Diese weist nahezu immer eine ausgeprägte Rauheit aus – ein Maß für die Unebenheit einer Oberfläche. Je nach Viskosität, Oberflächenspannung des Klebstoffs und der Oberflächenenergie des Werkstoffs wird die Rauheit unterschiedlich gut von dem Klebstoff benetzt. Der Anteil an Rauheit, der tatsächlich in Kontakt mit dem Klebstoff steht, wird als wirksame Oberfläche bezeichnet. Grundsätzlich gilt: Je größer die Kontaktfläche zwischen dem Klebstoff und dem Fügeteil, desto stärker die Haftung, fachsprachlich Adhäsion genannt.
Doch was genau wird unter Adhäsionskraft verstanden? Dies sind Kräfte, die für die Haftung zwischen Klebstoff und Festkörper sorgen. Hingegen werden die Kräfte, die innerhalb der Klebstoffphase wirken, als Kohäsion bezeichnet. Sie sind 20- bis 100-mal stärker als die Adhäsionskräfte. Die Maximierung von Adhäsion und Kohäsion ist daher von zentraler Bedeutung in der Klebtechnik. Doch wie lässt sich die Oberflächenenergie messen? Und wie wird die Adhäsion des Klebstoffs im industriellen Umfeld eingestellt?[2]

Messung der Oberflächenenergie
Um die Oberflächenenergie zu bestimmen, ist es wichtig, die Kontaktwinkelmessung zu kennen – insbesondere die Methode des liegenden Tropfens. Hierbei werden definierte Tropfen auf die zu untersuchenden Werkstoffoberflächen aufgebracht. Anschließend wird optisch der Kontaktwinkel zwischen Fest-, Flüssig- und Gasphase bestimmt.
Dieser Kontaktwinkel ist charakteristisch für die Wechselwirkung zwischen unterschiedlichen Flüssigkeiten und Festkörpern und wird durch die Youngsche Gleichung beschrieben, benannt nach dem englischen Mediziner Thomas Young (1773 – 1829). Mit dieser Gleichung lässt sich also die Oberflächenspannung bestimmen.
Die Weiterentwicklung der Formel zur sogenannten Young-Dupré-Gleichung, nach dem französischen Physiker Athanase Dupré (1808 – 1869), stellt den Zusammenhang zwischen Adhäsionskraft, Oberflächenspannung und Kontaktwinkel her. Die Bestimmung der Adhäsionskraft ist wichtig für die Entwicklung leistungsfähiger Klebstoffformulierungen. Allerdings können Adhäsionskräfte nur dann wirken, wenn das Fügeteil und der Klebstoff einen Abstand von <1 nm zueinander haben – beide sollten also in unmittelbarem Kontakt stehen. Daher sollten die Oberflächen unbedingt staub- und fettfrei sein, um eine optimale Verklebung sicherzustellen.[3, 4]

Die Kontaktwinkelmessung eignet sich also hervorragend, um Festkörperoberflächen zu charakterisieren. Doch was steckt tiefer hinter dem Begriff „Oberflächenenergie messen“? Werden verschiedene polare und apolare Flüssigkeiten – etwa Wasser, Ethylenglykol und Diiodmethan – zur Messung verwendet, lassen sich auch die polaren und dispersen Anteile der Oberflächenenergie bestimmen. Diese Messung basiert auf der Methode nach Owens, Wendt, Rabel und Kaelble (OWRK) und ist wichtig, um energetische polare und disperse Anteile von Oberflächen zu bestimmen.
Beispielsweise wird mithilfe der Plasmabehandlung die Polarität, das heißt die polaren Anteile der Festkörperoberfläche, und damit die Haftungseigenschaft von Werkstoffen verbessert. Die OWRK-Methode kann in diesem Fall zur Oberflächencharakterisierung herangezogen werden.[5]
Eine weitere Methode ist die dynamische Kontaktwinkelmessung. Hierbei werden die Tropfen mit der Kanüle auf die Oberfläche aufgebracht und anschließend dynamisch angesaugt und wieder dosiert. Währenddessen werden der fortschreitende und der sich zurückziehende Kontaktwinkel stetig gemessen. Die Differenz zwischen diesen beiden Messgrößen wird als Hysterese bezeichnet. Diese korreliert eng mit der Rauheit. Glatte Oberflächen wie Glas zeigen eine geringe Hysterese, während raue Oberflächen eine große Hysterese aufweisen. Somit lässt sich mit der Kontaktwinkelmessung die Oberflächencharakterisierung auf vielseitige Art und Weise durchführen. Doch welche Bedeutung hat dies für die Entwicklung und Auswahl von Industrieklebern?[6]
Auswahl von industriellen Klebstoffen
Ausgehend von dem Oberflächenenergie-Parameter lassen sich Werkstoffe in verschiedene Gruppen einteilen, wie in folgender Tabelle dargestellt.[7]
Material | Oberflächenenergie (mJ/m2) | Energetischer Zustand | Beispiele für Klebstoffe |
---|---|---|---|
Edelstahl, Kupfer | 250 – 1100 | hochenergetisch | Epoxidharz-, Polyurethan- und Acrylat-Klebstoffe |
Polycarbonat, Polyester | 38 – 50 | mittelenergetisch | Methylmethacrylat-Klebstoffe |
PTFE, Polypropylen |
<37 | niederenergetisch | Hochleistungs-Acrylat-Klebstoffe; 2-K Klebstoffsysteme auf Epoxidharz– oder Kautschukbasis (mit Oberflächenvorbehandlung) |
Metalle haben grundsätzlich hochenergetische Grenzflächen, jedoch nur dann, wenn die Fläche völlig frei von Verunreinigungen wie Fett, Schmutz oder Staub ist. Kunststoffe besitzen eine mittlere Oberflächenenergie, während bestimmte Kunststoffarten wie PTFE oder FEP zu den niederenergetischen Materialien zählen.[7] Zum Verkleben solcher niederenergetischer Materialien werden 2-Komponenten Klebstoffsysteme angeboten; der Klebeerfolg kann durch Vorbehandlung der Oberflächen mit chemischen Ätzmitteln gesteigert werden.
Gerade die Oberflächencharakterisierung von Materialien, etwa mithilfe der Methode des liegenden Tropfens, ermöglicht es, den oberflächenenergetischen Zustand zu klassifizieren. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Verfahren, etwa die Plasma-Behandlung oder funktionale Beschichtungen, um den energetischen Zustand der Oberfläche und damit Eigenschaften hinsichtlich der Verklebung gezielt zu modifizieren.
Obwohl Klebstoffe seit Jahrtausenden genutzt werden, geht ihre Erfolgsgeschichte weiter und die Innovationen schreiten voran. So hat jüngst der Essener Spezialchemiekonzern Evonik die Technologie „Debonding on Demand“ („Ablösung bei Bedarf“) vorgestellt, mit der sich Klebstoffe für Recycling und Reparaturen leicht entfernen lassen. Solche Entwicklungen eröffnen neue Perspektiven, indem der Gedanke der Kreislaufwirtschaft auch auf verklebte Systeme übertragen wird. Sie verbinden damit Materialinnovationen mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit.[8]
Quellen: [1]: https://www.kruss-scientific.com/de-DE/know-how/glossar/freie-oberflaechenenergie (Aufruf: 12.04.2025) [2]: https://www.konstruktionspraxis.vogel.de/grundlagen-des-klebens-erklaert-voraussetzung-adhaesion-kohaesion-a-794496/ (Aufruf: 12.04.2025) [3]: https://de.wikipedia.org/wiki/Kontaktwinkel (Aufruf: 12.04.2025) [4]: https://de.wikipedia.org/wiki/Youngsche_Gleichung (Aufruf: 12.04.2025) [5]: https://de.wikipedia.org/wiki/OWRK-Verfahren (Aufruf: 12.04.2025) [6]: https://www.kruss-scientific.com/de-DE/know-how/glossar/dynamischer-kontaktwinkel (Aufruf: 07.04.2025) [7]: https://de.boydcorp.com/blog/surface-energy-adhesive-selection.html (Aufruf: 12.04.2025) [8]: https://www.evonik.com/en/company/Innovation/innovation-challenges/debonding-on-demand.html (Aufruf: 12.04.2025)
Bildquellen: Beitragsbild | © CreativeSuburb – stock.adobe.com Unterschiedliche Benetzungszustände | © MesserWoland, CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons Grafik: Messung der Oberflächenenergie | © Nymo, Public domain, via Wikimedia Commons