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Was ist Chemietechnik?

Die Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens zur Ammoniaksynthese im industriellen Maßstab kann als die Geburtsstunde der modernen Chemietechnik bezeichnet werden. Seit die erste Anlage 1913 in Oppau zur Herstellung von Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff in Betrieb ging, hat sich dieses Fachgebiet enorm entwickelt. Heute ist es ein umfangreiches, interdisziplinäres Wissensgebiet, welches Chemie und Technik verbindet und sich mit der Umsetzung von Materialien und Chemikalien im technischen Maßstab befasst.

Was ist Chemietechnik heute?

Die Chemietechnik befasst sich mit der Übertragung chemischer Reaktionen auf die industrielle Produktion. Für diesen Scale-up einer im Chemie-Labor entwickelten Reaktion ist die genaue Bestimmung der günstigsten Reaktionsbedingungen nötig, die Aufarbeitung der zur Reaktion benötigten Ausgangsstoffe sowie die Trennung und Nachbehandlung der Reaktionsprodukte. Traditionell werden die Ergebnisse der Laborversuche in einer halbtechnischen Pilotanlage umgesetzt, in der die Technik sowie die einzelnen Komponenten des Verfahrens optimiert werden können. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen schließlich in die Errichtung der eigentlichen Produktionsanlage.

Laborversuche sind die Grundlage für die industrielle Produktion
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Dieser Workflow verdeutlicht mehrere Dinge:

  • An der Entwicklung und Errichtung einer chemischen Produktionsanlage sind Experten aus sehr unterschiedlichen Disziplinen beteiligt. Es braucht Fachmänner, die die chemische Technik beherrschen, um Reaktionen und Stoffumwandlungen im technischen Maßstab umzusetzen, Ingenieure aus der chemischen Verfahrenstechnik, die die einzelnen Verfahrensschritte im Prozess optimieren sowie Experten des chemischen Apparatebaus und der Maschinentechnik, die für ein reibungsloses Zusammenspiel in den einzelnen Prozessschritten sorgen. Mess-, Steuer- und Regelungstechniker sind außerdem für Überwachung und technische Sicherheit der gesamten Anlage zuständig.

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  • Für die Produktion in einer Chemieanlage sind neben Reaktoren, in denen als Herzstück der Anlage die Stoffumwandlung stattfindet, eine Vielzahl weiterer Anlagenkomponenten und Maschinen notwendig. Dazu gehören Antriebssysteme, Pumpen und Kompressoren, Rohrleitungen und Schläuche für den Hin- oder Abtransport von Stoffen zur Produktionsanlage, Heiz- und Kühlsysteme sowie Technik und Apparate zu Mischung oder Trennung von Stoffgemischen, wie beispielsweise Filtrations- oder Membransysteme. Die eingesetzten Materialien, wie Schläuche oder Dichtungen, müssen die teilweise extremen chemischen und thermischen Bedingungen aushalten. Moderne Werkstoffe, wie FFKM oder EPDM kommen hier zum Einsatz. Im Apparatebau wiederum sind es metallische, nicht-metallische Werkstoffe oder Verbundwerkstoffe aus beiden. Diese modernen Werkstoffe zeichnen sich durch ihre geringen Korrosions- und Verschleißerscheinungen aus, was direkten Einfluss auf die technische Sicherheit der Apparatur, des eingesetzten Bauteils oder der Rohrleitung hat. Überwachungssysteme und Technik, wie Durchflussmesser für Zu- oder Abläufe in Reaktoren und Rohrleitungen oder Sicherheitsventile an Reaktoren und weiteren sensiblen Systemen sorgen für ein lückenloses Monitoring und garantieren damit die Sicherheit der Anlage.

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  • Von der Forschung über die Entwicklung bis zu Konzeption und Bau einer chemischen Produktionsanlage können mehrere Jahre vergehen. Dies ist eine der größten Herausforderungen für die chemische Verfahrenstechnik und den Anlagenbau. Denn die heutige (Chemie-)Industrie fordert kurze Planungszeiten sowie eine flexible, effiziente und vor allem kostengünstige Produktion.

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Trends und Entwicklungen der modernen Chemietechnik

Digitalisierung und die Vernetzung von Anlagenkomponenten, flexible Produktion, Effizienz und Nachhaltigkeit oder Biotechnik sind einige der Schlagworte, die im Zusammenhang mit dem Anlagenbau, der chemischen Verfahrenstechnik oder der Prozesstechnik immer wieder fallen.

Digitalisierung im Anlagenbau

EPDM-Clampdichtungen - Norm: DIN 32676Im klassischen Anlagenbau der Chemie und Pharmaindustrie geht die Entwicklung, wie in vielen anderen Bereichen auch, in Richtung Industrie 4.0.

Die intelligente Vernetzung der einzelnen Komponenten einer Anlage ermöglicht eine umfassende Kommunikation und Vernetzung der Produktionssysteme, wodurch es möglich wird, auf Schwankungen im Rohstoffangebot, in der Nachfrage oder in der Belegung der einzelnen Produktionsanlagen zu reagieren.

Die Prozesstechnik dient damit der intelligenten Steuerung und Prozessautomatisierung, gleichzeitig werden die in den Prozessen generierten Maschinendaten zur Instandhaltung und besseren Überwachung der Anlage genutzt.

Modulare Systeme im modernen Anlagenbau

Neue Anlagen werden dagegen immer weniger nach dem klassischen „Scale-up'“-Verfahren der Verfahrenstechnik entwickelt. Dies liegt beispielsweise daran, dass die Produktion der klassischen Grundchemikalien der Chemie immer mehr zu Gunsten von Pharmaka und Spezialchemikalien zurückgedrängt wird. Deren Produktionsmenge ist geringer, gleichzeitig sind viele einzelne und komplexere Reaktionsschritte notwendig und die gesamte Produktion sollte in möglichst kurzer Zeit sowie kostengünstig fertig gestellt sein. Chemietechnik und chemische Verfahrenstechnik reagieren auf diese Anforderungen – eine Möglichkeit ist die Entwicklung modularer Anlagen. Hierbei werden einzelne Anlagenteile oder spezielle Prozesseinheiten wie in einem „Baukastensystem“ als Module vorgefertigt und direkt vor Ort zusammengebaut. Die einzelnen Module lassen sich in einen Prozess integrieren, miteinander verschalten und kommunizieren über definierte Schnittstellen miteinander. Damit spielen auch hier Digitalisierung und Automatisierung eine entscheidende Rolle – gleichzeitig wird die Komplexität der Produktion reduziert.

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Miniaturisierung – von der Miniplant bis zu Mikroreaktoren

Ein anderer Weg, den die chemische Verfahrenstechnik einschlägt, ist die Miniaturisierung. Hier gibt die sogenannte Miniplant-Technik die Möglichkeit, eine verkleinerte Produktionsanlage zu errichten. Der Zwischenschritt der Pilotanlage, wie es im klassischen Scale-up üblich ist, entfällt. Diese Technik erlaubt es, Prozessparameter für den Industriemaßstab zu gewinnen und die gesamte chemische Technik kann in diesem Stadium frühzeitig optimiert werden.

Die Mikroreaktionstechnik schließlich verbindet Chemie und Technik in noch kleineren Systemen. Hierbei wird die chemische Verfahrenstechnik „en miniature“ in sogenannten Mikroreaktionsmodulen durchgeführt. Vorteile dieser Technik sind die exakten Steuerungsmöglichkeiten der Reaktionen, denn durch die Nähe der einzelnen Komponenten ist ein guter Stofftransport, eine effektive Wärmeübertragung, kurze Verweilzeiten und insgesamt eine gute Regelbarkeit und Sicherheit des gesamten Systems. Durch das Nebeneinanderschalten mehrerer Reaktoren kann der Durchsatz sehr einfach erhöht werden. Beide Entwicklungen stützen zudem die allgemeinen Anforderungen nach mehr Effizienz in der Chemie allgemein sowie den steigenden Ansprüchen in Bezug auf die Nachhaltigkeit in der Chemie und der Industrie insgesamt.

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Schließlich ist die industrielle Biotechnik ein wachsender Bereich, der durch den Einsatz von Biokatalysatoren die Chemietechnik umweltfreundlicher macht. Sie hat gegenüber der traditionellen Chemietechnik und chemischen Verfahren mehrere Vorteile. Dazu gehört beispielsweise, dass sich durch ihren Einsatz chemische Verfahren energie- und emissionsärmer gestalten lassen. Gleichzeitig werden in der Biotechnik nachwachsende statt fossile Rohstoffe eingesetzt, wodurch ein Schritt in Richtung nachhaltiger Produktion möglich ist.

Die Frage: „Was ist Chemietechnik“, lässt sich somit nicht in einem einfachen Satz beantworten, sondern eröffnet den Blick auf viele unterschiedliche Fach- und Wissensbereiche sowie zukunftsträchtige Technologien und Verfahren.