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PVDF – ein vielseitiger Kunststoff

Polyvinylidenfluorid, kurz PVDF, ist ein Polyfluorolefin, das unter dem Handelsnamen KYNAR® bekannt geworden ist. Seit der ersten Synthese Anfang der 60er Jahre durch Chemiker der US-Firma Pennsalt Corporation ist es zum zweitwichtigsten Fluorpolymer hinter PTFE aufgestiegen. Allein 2015 wurden weltweit 41 000 Tonnen hergestellt und als Fertigteile oder Halbzeuge auf den Markt gebracht.

Polyvinylidenfluorid ist ein sehr vielseitiger Kunststoff

Wie alle Fluorpolymere ist PVDF gegenüber einer Vielzahl an Chemikalien beständig, hat eine hohe mechanische Festigkeit und kann über einen Temperaturbereich von -30 °C bis +150 °C eingesetzt werden. Es ist physiologisch unbedenklich, kann mit einer hohen Reinheit hergestellt werden und ist extrem gut zu verarbeiten.

Als einziger Kunststoff unter den Fluorpolymeren zeigt er piezo-, ferro- und pyroelektrische Eigenschaften.

Einfacher Syntheseweg und vielfältige Verarbeitungsmöglichkeiten

Hergestellt wird Polyvinylidenfluorid durch die Polymerisation von 1,1-Difluorethen in Gegenwart eines Katalysators. Das auf diesem Weg synthetisierte Polymer ist von großer Reinheit und enthält keine Nebenprodukte oder zusätzliche Additive, weshalb es in der Halbleiterindustrie für viele Bauteile der Werkstoff der Wahl ist. Das Kunststoffgranulat kann im Extrusions- oder Spritzgießverfahren weiter verarbeitet werden – entweder direkt zu dem gewünschten Fertigteil, zu Halbzeugen, wie Platten und Rundstäbe, oder zu dünnen Folien. Die Halbzeuge aus dem Kunststoff können thermisch weiter umgeformt oder mechanisch durch Drehen, Bohren oder Fräsen bearbeitet werden. Auch ein Verschweißen oder Verkleben der Werkstoffe ist möglich, wobei für den Klebevorgang eine Vorbehandlung mit Primerlösungen notwendig ist.

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Der Anlagen- und Apparatebau setzt Halbzeuge und Fertigteile aus PVDF in vielen Bereichen ein

Die breite Palette an Verarbeitungsmöglichkeiten, gepaart mit der Beständigkeit gegenüber aggressiven Chemikalien, höheren Temperaturen und Witterungseinflüssen, macht dieses Material im Anlagen- und Apparatebau so beliebt. Die vielseitigen mechanischen und thermischen Bearbeitungsmöglichkeiten der Halbzeuge aus Kunststoff ermöglichen es, auch geometrisch anspruchsvolle Bauteile zu verwirklichen. Füllvorrichtungen, Wannen oder Rohrleitungssysteme können durch thermische Umformung, Verschweißen oder Verkleben aus Halbzeugen maßgeschneidert hergestellt und in eine Anlage eingepasst werden. Folien werden vor allem als Beschichtungen für korrosionsgefährdete Bauteile aus Stahl oder Metall, große Reaktionsbehälter oder Rohre aus Kunststoff eingesetzt.

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PVDF wird als Material nicht nur im chemischen Anlagenbau verwendet, sondern ebenso in der Pharma-, Lebensmittel- und Halbleiterindustrie. Hier kommen Eigenschaften, wie die physiologische Unbedenklichkeit, die hohe Abriebfestigkeit und die Reinheit des Kunststoffs, der generell keine zusätzlichen Weichmacher enthält, zum Tragen. Damit ist die Gefahr des sogenannten „Leachout“, also des unerwünschtes Auslaugens des Materials, nicht gegeben. Daher kommt PVDF als Material für Rohre, Dichtungen und Schläuche für den Transport hochreiner Chemikalien oder Reinstwasser in der Pharma-, Food- sowie der Halbleiter- und Chipindustrie zum Einsatz. Ebenso finden Sie Verwendung als Lebensmittelschläuche.

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Gerade in den letzten beiden Industriebereichen haben bereits geringe Verunreinigungen im Herstellungsprozess große Auswirkungen auf die Qualität des Endprodukts. PVDF ist einer der wenigen Kunststoffe, der diese hohen Reinheitsanforderungen erfüllt, weshalb nicht nur Rohre und Schläuche, sondern auch andere Komponenten wie Säurebäder, ganze Rohrsysteme, Transport- und Lagerbehälter daraus gefertigt werden. Auch hierfür kommen Halbzeuge, Platten oder Rundstäbe zum Einsatz, um daraus maßgeschneiderte Bauteile herzustellen, die an den Produktionsprozess bzw. für ihren Einsatzzweck optimal angepasst sind.

Physiologisch unbedenkliche Kunststoffe für die Medizintechnik

Das Material zur Herstellung von Medizingeräten und Verbrauchsmaterialien muss biokompatibel und sollte sterilisierbar sein sowie die Anforderungen der FDA bzw. BfR erfüllen. Neben Silikon erfüllt PVDF als Material diese Ansprüche. Wie Silikon besitzt es eine hydrophobe Oberfläche, weshalb sich auf solchen Werkstoffen keine Biofilme ausbilden können – eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz dieser Materialien als Werkstoffe für Implantate, Schläuche, Dichtungen und andere Bauteile und Zubehör für medizin-technische Geräte.

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Piezo-, Ferro- und Pyroelektrizität sind ein Alleinstellungsmerkmal

Piezoelektrische Werkstoffe helfen Patienten

Polyvinylidenfluorid ist teilkristallin und zeigt piezo-, ferro- und pyroelektrische Eigenschaften. Bereits vor mehr als vierzig Jahren hat H. Kawai, ein japanischer Physiker, die piezoelektrischen Eigenschaften entdeckt. Wenige Jahre später konnten zwei weitere japanische Physiker, K. Nakamura und Y. Wada, die ferroelektrischen Eigenschaften dieses Materials nachweisen. Der piezoelektrische Effekt, der die Erzeugung einer Spannung durch gerichtet, äußeren Druck auf ein Material beschreibt, wird für die Messung von Schwingungen oder Drehungen, beispielsweise in Bauwerken, Fahrzeugen oder Maschinen genutzt. Diese Sensoren enthalten eine dünne Folie aus PVDF, die kleinste Bewegungen in ein elektrisches Signal umwandelt.

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Auch der gegenteilige Effekt, der Aufbau eines Druckes durch Anlegen einer äußeren Spannung, wird ausgenutzt. Als sogenannter Aktuator finden sich Folien in Bauteilen wie Transistoren oder Dioden als Regelelemente. In der Medizintechnik werden PVDF-Membranen in Cochlea-Implantaten für Hörbehinderte eingebaut. Durch die äußeren Schallwellen wird eine in die Hörschnecke (lat.: chochlea) implantierte Membran in Schwingung versetzt, wodurch, je nach Frequenz, verschieden starke elektrische Spannungen induziert werden. Damit wird die sogenannte Basilarmembran des Innenohrs imitiert, der Hörnerv „misst“ die entstandenen Spannungen und leitet sie an das Gehirn weiter. Die Cochlea-Implantate sind kommerziell verfügbar und ermöglichen Hörbehinderten die Rückgewinnung ihres akustischen Wahrnehmungsvermögens.

Kunststoffe als Speichermedien und Bewegungsmelder

Auch eine plötzliche äußere Temperaturänderung kann bei Folien aus Polyvinylidenfluorid eine messbare, elektrische Spannung erzeugen. Dieser pyroelektrische Effekt wird für Bewegungs- und Flammmelder genutzt. Der ferroelektrische Effekt tritt auf, wenn sich die in einem Material vorhandenen Dipolmomente nach einem äußeren elektrischen Feld ausrichten. Forscher arbeiten daran, wie Werkstoffe, die diese Eigenschaft besitzen, als Speichermedien für elektronische Daten genutzt werden können.

Kunststofftransistoren und Dioden aus PVDF-Folie gibt es bereits, an einem Speichermedium aus diesem Werkstoff wird noch geforscht.

PVDF-Membranen in der biochemischen Analytik

PVDF-Membranen werden in der Biochemie zur Fixierung von Proteinen genutzt. Bei der Western- oder Immunoblot-Technik werden die in einem SDS-Gel aufgetrennten Proteine auf eine Membran übertragen, dort fixiert und anschließend über Antikörper identifiziert. Zum Einsatz kommen entweder Nylon- oder PVDF-Membranen – an beide Materialien können Proteine binden. Polyvinylidenfluorid hat gegenüber Nylonmembranen den Vorteil der größeren Proteinbindungskapazität sowie der höheren Stabilität und Robustheit. Das erlaubt auch eine mehrfache Verwendung der Membranen, nachdem die gebundenen Proteine durch eine Waschprozedur entfernt wurden. Die PVDF-Membran kann aber auch so modifiziert werden, dass sie eine sehr geringe Proteinbindungskapazität hat. Eine solche Membran wird in der Sterilfiltration von Lösungen eingesetzt, um Bakterien, unerwünschte Proteine und andere Begleitstoffe sicher zu entfernen.

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PVDF – ein Werkstoff mit Zukunft

Polyvinylidenfluorid, der vor mehr als fünfzig Jahren zum ersten Mal synthetisierte Kunststoff, hat breiten Eingang in unseren Alltag gefunden. Kabelummantelungen nutzen seine elektrisch isolierenden Eigenschaften, in Mikrofonen und Lautsprechern sind Folien aus diesem Material verbaut und viele Gebrauchsgegenstände werden ebenfalls daraus hergestellt. Vor allem der Anlagen- und Apparatebau schätzt PVDF als vielseitig einsetzbareren Werkstoff, während für Medizin-, Pharma- und Lebensmitteltechnik seine Eigenschaften, wie physiologische Unbedenklichkeit oder Sterilisierbarkeit, wichtig sind.

Auch in Zukunft wird dieser Werkstoff sicher noch für Überraschungen sorgen, wenn es vielleicht Forschern tatsächlich gelingt, neuartige elektronische Speichermedien oder andere Produkte aus diesem Kunststoff herzustellen.