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Piezoelektrischer und Pyroelektrischer Effekt

Was haben ein Feuerzeug, die Einparkhilfe im Auto und ein Bewegungsmelder gemeinsam? Auf den ersten Blick erst einmal nichts. Bei genauerem Hinsehen nutzen alle Drei physikalische Phänomene, die darauf beruhen, eine Druck- oder Temperaturänderung in elektrische Spannung umzuwandeln oder umgekehrt. Dafür stehen die Begriffe „pyroelektrischer Effekt“ und „piezoelektrischer Effekt“. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie hier.

Die Entdeckung der Piezoelektrizität und der Pyroelektrizität

Wird Turmalin, ein variantenreicher Edelstein vom Typ der Ringsilikate, erhitzt, zieht er Staubteilchen an. Holländische Seefahrer haben dieses Phänomen, den pyroelektrischen Effekt, bereits gekannt, denn sie nutzten erhitzte Turmalinkristalle, um damit Asche aus ihren Meerschaumpfeifen zu ziehen. Genauer untersucht wurde die Pyroelektrizität und das umgekehrte Phänomen, die Piezoelektrizität, Ende des 19. Jahrhunderts.

Paul Jacques Curie (1855-1941, links) mit seinem Bruder Pierre Curie (1859-1906) und seinen Eltern Eugène Curie (1827-1910) und Sophie-Claire Depouilly (1832-1897)

Die Entdeckung lag in der Luft, denn viele Forscher dieser Zeit, unter ihnen der französische Physiker und Entdecker der Radioaktivität Antoine Henri Becquerel (1852 – 1906), nahmen an, dass bestimmte Festkörper nicht nur bei einer äußeren Temperaturänderung, sondern auch bei der Änderung des äußeren Drucks eine elektrische Spannung erzeugen. Es waren die beiden Brüder Paul Jacques Curie (1855 – 1941) und Pierre Curie (1859 – 1906), die mit einfachen Mitteln, großem experimentellen Geschick und einer genauen Beobachtungsgabe schließlich im Jahr 1880 den piezoelektrischen Effekt an Turmalin nachweisen konnten.

Diese Entdeckung führte zu weiteren Diskussionen und sowohl die Brüder Curie als auch ihre Forscherkollegen erweiterten auf dieser Grundlage ihre Theorie zur Piezoelektrizität. Man nahm an, dass auch die Verformung von piezoelektrischem Material durch Anlegen einer Spannung möglich sein sollte. Wieder waren die beiden Curie-Brüder führend und bewiesen bereits ein Jahr später den inversen piezoelektrischen Effekt. Kristalle, die diese Eigenschaften besitzen, werden als Piezokristalle bezeichnet.

Pyroelektrischer und piezoelektrischer Effekt – wie kommt es dazu?

Kristalle bestehen aus einer regelmäßigen Anordnung von verschiedenen Atomen, die entweder eine positive oder eine negative elektrische Ladung besitzen und über ihre ionischen Wechselwirkungen ein festes Kristallgitter aufbauen.

Eine Druckänderung erzeugt elektrische Spannung – und umgekehrt

Ein typischer Vertreter der Piezokristalle ist Quarz (SiO2), das aus Silicium- und Sauerstoffatomen aufgebaut ist. Wird auf einen Quarzkristall Druck ausgeübt, werden die positiv geladenen Siliciumatome in eine Richtung verschoben, die negativ geladenen Sauerstoffatome in die entgegengesetzte. Dadurch liegen die Ladungsschwerpunkte der positiven und negativen Ladung nicht mehr übereinander, sondern sind minimal gegeneinander verschoben und können sich so nicht mehr ausgleichen. Das äußert sich makroskopisch, indem eine Seite des Kristalls negativ, die andere positiv geladen ist. Werden nun diese Seiten über einen metallischen Leiter verbunden, fließt ein minimaler elektrischer Strom, der abgegriffen werden kann. Kehrt der Kristall in die Ausgangsposition zurück, ist auch die Ladungsverschiebung aufgehoben – positive und negative Ladung gleichen sich wieder aus. Erneuter Druck erzeugt erneut elektrische Spannung.

Quarz in Kristallform
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Das gegenteilige, als inverser piezoelektrischer Effekt bekannte Phänomen tritt auf, wenn eine elektrische Spannung an einen Piezokristall angelegt wird. Hier kommt es zu einer minimalen Verformung des Materials, die durch Entfernen der Spannung rückgängig gemacht werden kann. Durch An- und Abschalten des Stroms wird das Material zum Schwingen gebracht, was ausgenutzt wird, um bestimmte Frequenzen zu erzeugen. Ultraschallwandler oder Sensoren nutzen diesen Effekt.

Pyroelektrischer Effekt – durch Temperaturänderungen Strom gewinnen

Nicht nur durch die Änderung des Drucks, sondern auch durch die Änderung der Temperatur kann in bestimmten Materialien eine elektrische Spannung erzeugt werden. Dieses als pyroelektrischer Effekt bekannte Phänomen tritt in Festkörpern auf, die ein permanentes Dipolmoment besitzen, per se also bereits schwach polarisiert sind. Durch die äußere Wärmeeinstrahlung verändern sich die Abstände der Atome im Kristallgitter, durch die sich die elektrischen Ladungen wie im Fall der Piezoelektrizität verschieben, was makroskopisch messbar ist. Auch hier kann durch Anlegen einer äußeren Spannung ein inverser pyroelektrischer Effekt erzeugt werden, wodurch das Material seine Temperatur ändert.

Zylinderschraube (DIN 84) aus PVDF - mit Schlitz Unterlegscheibe (DIN 125) aus PVDF

Nicht nur Kristalle sind piezoelektrisch

An Kristallen wurden der piezo- und der pyroelektrische Effekt zwar zuerst entdeckt, aber auch andere Festkörper weisen entsprechende Eigenschaften auf. In Mischoxid-Keramiken, wie Bariumtitanat (BTO) oder Blei-Zirkonat-Titanat (PZT), sind diese Effekte noch ausgeprägter, weshalb sie in vielen Sensoren oder Ultraschallwandlern zu finden sind. Aber nicht nur an Festkörpern, auch an Polymeren wurden pyro- und piezoelektrische Effekte nachgewiesen. Das bekannteste Beispiel dafür ist Polyvinylidenfluorid (PVDF), jener chemikalienfeste Werkstoff für Rohre, Schläuche, Platten und andere hochwertige Halbzeuge sowie für viele Laborbedarfsartikel, dessen piezoelektrische und pyroelektrische Eigenschaften bereits in den 1960er Jahren entdeckt wurden.

PVDF-Folie Platte aus PVDF

Viele Industrieanwendungen nutzen piezo- und pyroelektrische Materialien

In vielen Sensoren sind Piezokristalle sowie Keramiken und Membranen verbaut, die piezo- oder pyroelektrische Eigenschaften besitzen. Mit deren Hilfe können zum Beispiel Durchflussmengen oder Veränderungen in Flüssigkeiten festgestellt werden, was beispielsweise in der Medizin zur Überwachung von Infusionsschläuchen genutzt wird. Eine piezoelektrisch angetriebene Membran erzeugt Schwingungen im Ultraschallbereich, ein zweiter Empfänger enthält ebenfalls eine Membran, die die Schwingungen in ein elektrisches Signal rückwandelt. Befindet sich in der Flüssigkeit nun beispielsweise eine Gasblase, was im Fall einer Infusion gefährlich sein kann, so ändert sich die Frequenz der zurückgestrahlten Ultraschallwellen, was in der zweiten Membran zu einem veränderten elektrischen Signal führt und direkt detektiert werden kann. In diesem Beispiel werden piezoelektrischer und inverser piezoelektrischer Effekt geschickt kombiniert. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch die eingangs erwähnte Einparkhilfe.

PVDF-Chemieschlauch Y-Schlauchtülle aus PP oder PVDF

Funktion eines Piezofeuerzeugs

Ein Piezofeuerzeug nutzt den Druck des Daumens. Dessen Kraft wird auf einen kleinen Stößel übertragen, der auf einen Piezokristall schlägt. Dadurch wird eine elektrische Spannung erzeugt, die einen Funkenschlag generiert, der das gleichzeitig ausströmende Gas entzündet. Auch unser Körper nutzt das Prinzip für den Knochenaufbau an den Stellen, die besonders belastet werden. Hier wirkt der Knochen gleichsam als piezoelektrischer Sensor, der den Druck in elektrische Ladung umwandelt. Diese Ladung wiederum stimuliert das Knochenwachstum an der entsprechenden Stelle – der Knochen wächst und die Knochenstruktur wird gezielt verstärkt. Bewegungsmelder nutzen Keramiken, wie Strontium-Bariumniobat oder Blei-Zirkontitanat, die pyroelektrisch sind und bereits auf sehr geringe Temperaturänderungen reagieren

Auch moderne Parksensoren nutzen den piezoelektrischen Effekt.
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Vorteile von piezo- und pyroelektrischen Sensoren

Pyro- wie piezoelektrische Sensoren haben den Vorteil, dass sie sehr schnell und präzise auf Veränderungen reagieren und gleichzeitig robust und damit langlebig sind. Zudem können sie meist auch kostengünstig hergestellt und auf kleinstem Raum verbaut werden. Allerdings können sie nur für dynamische Messungen eingesetzt werden, für rein statische Messungen sind sie nicht geeignet.

Energy Harvesting – ein Trend, der Piezo- und Pyroelektrizität nutzt

Beim Energy Harvesting geht es darum, kleine Mengen Elektroenergie aus Quellen in der Umgebung zu gewinnen, um damit Geräte mit geringem Stromverbrauch, wie zum Beispiel Handys, autark betreiben zu können, wenn andere Möglichkeiten für die Energieversorgung nicht verfügbar sind.

Direkter Piezoeffekt: Durch mechanischen Druck verlagert sich der positive (Q+) und der negative (Q-) Ladungsschwerpunkt
© Degreen in der Wikipedia auf Deutsch – Direkter Piezoeffekt: Durch mechanischen Druck verlagert sich der positive (Q+) und der negative (Q-) Ladungsschwerpunkt

Aus Wärme wird elektrische Energie

Die Idee, aus einer Temperaturänderung elektrische Energie zu gewinnen, wird von verschiedenen Forscherteams verfolgt. In Material, das pyroelektrisch ist, steckt großes Potenzial, denn damit könnte es gelingen, die Abwärme von Elektrogeräten zumindest teilweise wieder in elektrische Energie umzuwandeln. Das kann sich lohnen, denn bis zu siebzig Prozent des eingesetzten Stroms wird in Elektrogeräten in Wärme umgewandelt und ist damit verloren. Kalifornischen Forschern ist es auf dieser Grundlage gelungen, ein Minikraftwerk zu bauen. Die Stromausbeuten sind zwar gering, reichen aber aus, um kleinere Geräte oder Sensoren anzutreiben. Außerdem reichen bereits kleine Temperaturänderungen für das „Energy Harvesting“ aus.

Fußgänger erzeugen Strom

In Bodenplatten eingebaute piezoelektrische Materialien können beispielsweise für die autarke Versorgung von Straßenbeleuchtungen an Fußgängerwegen genutzt werden. Diese speziellen Platten wandeln den Druck der darauf laufenden Fußgänger in elektrischen Strom um. In Toulouse wurde diese Idee als Pilotprojekt bereits getestet, in Rotterdam gibt es sogar eine Diskothek, in der Tänzer ihren Strom teilweise selber erzeugen – und das ganz nebenbei und mit großem Vergnügen.