Nanomaterialien – Chancen und Risiken ihres Einsatzes

Jeder benutzt sie, kaum einer bemerkt sie. Viele haben den Begriff „Nanoteilchen“ schon einmal gehört, die wenigsten aber können sich darunter etwas vorstellen. Dabei findet sich Nanomaterial inzwischen in oder auf nahezu allem, was wir täglich benutzen und ebenso in unserer Umwelt. So zum Beispiel in der Sonnencreme, mit der wir uns vor Sonneneinstrahlung schützen, in der Wandfarbe, mit der wir unsere Räume wohnlich machen und selbst in Zahnpasta, mit der wir täglich unsere Zähne putzen, sind Nanomaterialien enthalten. Auch in der Natur sind Nanopartikel allgegenwärtig. Sie entstehen beispielsweise bei Vulkanausbrüchen oder Sandstürmen und gelangen aus Feuerungsanlagen und Abgasen von Dieselfahrzeugen in die Atmosphäre. Auch Zigarettenrauch enthält Nanopartikel und mit jedem Feuerwerk am Jahresende werden nach Angaben des Bundesumweltamtes in Deutschland über 4000 Tonnen Feinstaub in unsere Atemluft eingetragen.

Kleiner Zwerg mit großen Eigenschaften

Nanos (νᾶνος) kommt aus dem Griechischen und bedeutet Zwerg. Vor etwa 30 Jahren hat die Erfindung des Rastertunnelmikroskops (RTM) den Zugang zur Nanodimension geschaffen. Ein Nanometer, kurz nm, entspricht dem Milliardstel Teil eines Meters oder bildlich ausgedrückt kann man sich das Verhältnis von einem Nanometer zu einem Meter vorstellen wie das Größenverhältnis von einer Grapefruit zu der Erde. Die DIN CEN ISO/TS 80001-2 definiert als Nanoobjekte Teilchen, die in mindestens einer äußeren Dimension, also Länge, Breite oder Höhe, zwischen 1 und 100 Nanometern messen.

Etliche kosmetische Produkte enthalten Nanopartikel und Mikro-Kunststoffpartikel nanomaterialien
Etliche kosmetische Produkte enthalten Nanopartikel und Mikro-Kunststoffpartikel

Nanopartikel besitzen im Gegensatz zu Nanoobjekten in allen drei Dimensionen Nanometerdimensionen. Sie bestehen aus wenigen bis einigen Tausend Atomen oder Molekülen. Somit ist Nanomaterial ein Oberbegriff und beschreibt alle Stoffe bzw. Materialien, die Nanoobjekte sind oder Materialien, die eine innere Nanostruktur oder eine nanostrukturierte Oberfläche aufweisen.

Was sind die Besonderheiten von Nanomaterialien?

Chemische Verbindungen im Nano-Größenbereich zwischen 1 und 100 Nanometern, der als nanoskaliger Bereich definiert ist, besitzen im Gegensatz zu nicht nanoskaligen Verbindungen meist andere physikalische und chemische Eigenschaften. Die Änderungen der Eigenschaften sind auf die extrem große Oberfläche der Nanoteilchen im Verhältnis zu ihrer Masse zurückzuführen.

Je kleiner ein Partikel ist, desto mehr Atome oder Moleküle befinden sich an seiner Oberfläche.

Hierdurch gewinnen quantenphysikalische Effekte anstatt ihrer Volumeneigenschaften an Bedeutung. Oberflächenatome besitzen weniger Bindungspartner als Atome im Partikel-Inneren, was zu deren erhöhter Reaktivität führt.

Diese veränderten Eigenschaften von Nanopartikeln fanden bereits im Mittelalter bei der Färbung von Kirchenfenstern empirische Verwendung, indem bei der Glasherstellung Nano-Goldpartikel erzeugt wurden. Diese Partikel schimmern rötlich statt golden, wenn ihr Durchmesser weniger als 100 nm beträgt.

Lycurgus-Kelch aus dem 4 Jahrhundert
Der Lycurgus-Kelch aus dem 4. Jahrhundert: Gold- und Silber-Nanopartikel sorgen für die besondere Farbgebung

Synthetische Gewinnung von Nanomaterialien

Grundsätzlich stehen der Chemietechnik zwei Synthesemöglichkeiten zur Gewinnung von Nanomaterialien zur Verfügung. Sowohl mit der  „top-down-Technik“ als auch mit der „bottom-up-Technik“ lässt sich Nanomaterial auf jeweils unterschiedliche Art generieren.

Bei der top-down-Technik werden größere Partikel durch mechanische Bearbeitung, wie Mahlen oder Ätzen, bis in den nanoskaligen Bereich zerkleinert. In der bottom-up-Technik geschieht im Prinzip das Gegenteil, indem atomare oder molekulare Bausteine zu Nanomaterialien zusammengefügt werden. Mit Hilfe synthetisch hergestellter Nanomaterialien ist es möglich, maßgeschneiderte Nano-Verbindungen für den jeweiligen Anwendungszweck herzustellen.

Wozu werden nanoskalige Materialien eingesetzt?

Nanomaterialien sind nicht nur Produkte, die für die Wissenschaft interessant sind und Ursache mancher Art von Naturphänomenen sind, sie haben auch eine hohe praktische Bedeutung. Inzwischen hat Nanomaterial nahezu alle Lebensbereiche der Menschen erreicht. Oberflächen mit speziellen Nanobeschichtungen können vor UV-Strahlung schützen, wasserabweisend sein oder sich selber reinigen.

Dies sind optimale Bedingungen, um Glas als Baumaterial für Gebäudefassaden einzusetzen oder für Autoscheiben, mit denen eine klare Sicht bei jeder Wetterlage garantiert ist.

In Kliniken oder im Lebensmittelbereich erleichtern solche Nanobeschichtungen die Einhaltung der Hygienevorschriften und sorgen für Sicherheit, weil die Reinigung von Geräten dadurch sehr viel effizienter und sicherer wird.

Zu einer der heutzutage am häufigsten industriell hergestellten Nanomaterialien zählt der Industrieruß, der als Carbon-Black gehandelt und zu über 90 % für die Gummiindustrie eingesetzt wird. Seit über 80 Jahren dient er dabei der Optimierung der physikalischen Eigenschaften von Autoreifen und erhöht ihre Abriebfestigkeit sowie die Bodenhaftung zur Fahrbahn. Des Weiteren wird Carbon-Black als Füllstoff und UV-Schutz in Kunststoff eingesetzt. Den feinen Kohlestaub findet man auch in vielen antistatischen Schläuchen: Deren elektrische Leitfähigkeit mit Ableitwiderständen <106 Ohm ist in den meisten Fällen auf die Kohlenstoff-Legierung zurückzuführen. Industrieruß ist zudem als Schwarzpigment in Druckfarben, Lacken und Kosmetikprodukten, wie Mascara, enthalten.

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Kleidung, die stets aussieht, als sei sie frisch von der Stange gekauft, mit bemerkenswerten und nützlichen Eigenschaften, wie dem Schutz vor UV-Strahlen, Umwelteinflüssen und Niederschlag, ist längst kein Wunschdenken mehr. Auch bei längerer Nutzung bleiben diese Materialien geruchsneutral und knitterfrei. Mithilfe moderner Methoden ist es der Materialwissenschaft gelungen, die Eigenschaften der Nanopartikel für die Textilindustrie nutzbar zu machen und Kleidung „funktional“ auszustatten.

Für Sportbekleidung wird beispielsweise die antibakterielle Wirkung von Silber durch Ausrüstung der Textilien mit Silber-Nanopartikeln bereits genutzt. Der Einsatz dieser Partikel beugt vor allem der Geruchsbildung durch Schweiß vor. Allerdings ist Silber in Textilien nicht unumstritten, weil durch Schweiß sowohl Silber-Ionen als auch Silber-Nanopartikel aus den Textilien freigesetzt werden können, die das Risiko bergen, dass sie zu nicht tolerierbaren Hautexpositionen führen können.

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Die vermutlich wichtigste Anwendung finden Nanomaterialien jedoch in unterschiedlicher Form in der Medizin. Nanopartikel werden unter anderem in der Leukämietherapie zur Wiederherstellung von Blutzellen genutzt. Nanomagnete werden zur Bildgebung genutzt und ermöglichen die gezielte Hyperthermie (Überwärmung) von Krebszellen. Das Besondere an der Behandlung mithilfe von Nanomaterialien ist, dass das gesunde Gewebe durch diese Art der Therapie ringsum nicht belastet wird. Es bedeutet eine Therapie ohne die üblichen Nebenwirkungen, wie bei der herkömmlichen Strahlentherapie, die gesundes Gewebe mit zerstört und zu Haarausfall und anderen, die Lebensqualität beeinträchtigenden Folgen führt. Insgesamt wird das Risiko dieser Form von Nebenwirkungen deutlich reduziert.

Die Nanotechnologie verspricht zudem die Behandlung von Krankheiten, für die es bislang keine Heilungsmöglichkeiten gab und für die eine gezielte Therapie individuell erstellt werden kann.

Risiken und Regularien

Auch wenn Nanomaterialien wie Alleskönner wirken, gibt es, wie wohl immer, keine Erfindungen oder Innovationen, die risikofrei und komplett sicher sind. Dem in der Schweiz geborenen Arzt und Alchimist des Mittelalters Paracelsus (1493 oder 1494 – 1541) wird das Zitat zugeschrieben: „Alle Ding‘ sind Gift und nichts ohn‘ Gift – allein die Dosis macht, das ein Ding‘ kein Gift ist.“

Paracelsus nach einem Kupferstich von Augustin Hirschvogel (1540)
Paracelsus nach einem Kupferstich von Augustin Hirschvogel (1540)

Verkürzt kann man diese Bewertung so wiedergeben: Die Dosis macht das Gift. Dieser Satz gilt auch für die Aufnahme von Nanomaterial im menschlichen Körper. Sei es gewollt durch Medikamenteneinnahme oder ungewollt, etwa durch das Einatmen von Fein- und Ultrafeinstäuben. Sie sind an manchen Arbeitsplätzen unvermeidbar und können die Sicherheit beeinträchtigen, wie beim Betrieb von Laserdruckern. Aufgrund ihrer Größe sind sie in der Lage, die Blut-Luft-Schranke zu überwinden und gelangen so in die Lunge, wo diese Materialien Lungenentzündungen und andere Krankheiten auslösen können.

Die Präsenz von Nanomaterialien in der Luft erfordert eine intensive Forschung ihrer Einflüsse auf unsere Gesundheit und die Umwelt. Seit 2013 gibt es für Kosmetika, in denen Nanomateriallien enthalten sind, eine EU Kennzeichnungspflicht und die entsprechende Verordnung. Seit 2014 sind auch Lebensmittel davon betroffen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. hat die Online-Produktdatenbank „nanowatch“ angelegt, mit der sich die Verbraucher über Produkte informieren können, in denen Nanomaterialien vorhanden sind. So kann jeder individuell für sich das Risiko einschätzen.

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Es steht jedoch außer Frage, dass die Vorteile, die sich aus der Nanotechnologie für die Herstellung von unterschiedlichsten Materialien ergeben, ihre Nebenwirkungen in den Schatten stellen. Nanotechnologie bedeutet eine große Revolution in allen Bereichen  und ihr Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft.

Bildquellen:
Beitragsbild | © Kateryna_Kon – stock.adobe.com
Zahnpasta | © Thegreenj – commons.wikimedia.org
Lycurgus-Kelch | © Johnbod – de.wikipedia.org