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„Im Handumdrehen“ – Gewinde aus Glas

Die von dem antiken Mathematiker und Ingenieur Archimedes von Syrakus (ca. 287 – 212 v. Chr.) erfundene und nach ihm benannte „Archimedische Schraube“, die für die Bewässerung von Feldern Anwendung fand, dürfte als das erste Gewinde der Menschheit zu verstehen sein. Doch Gewinde ist nicht gleich Gewinde! Verschiedene Materialien und teils kryptische Kennzeichnungen machen es schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen. Der folgende Artikel erläutert kurz die neuere“ Geschichte der Gewinde und wo Gewinde aus Glas überall zum Einsatz kommen.

Das Gewinde und die Einführung der Norm

Ende des 17. Jahrhunderts nahm in dem 20 km nordöstlich von Düsseldorf gelegenen Städtchen Velbert die Produktionen von Schrauben und Muttern ihren Anfang. Denn die Verschraubung ist zur Befestigung auf einem hölzernen Unterbau sehr viel sicherer als das Aufnageln, und Montagen auf metallenen Unterlagen waren damit erst möglich.

Das grundlegende Wissen über Gewinde wurde zwar schnell weitergetragen, aber die von den verschiedenen Manufakturen hergestellten Schrauben und Muttern waren meist nicht gegeneinander austauschbar, weil ihre Dimensionierung immer nur dem jeweiligen Zweck angepasst wurde. Damit war fast jedes Stück ein Unikat.

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Es dauerte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, bis der englische Ingenieur Sir Joseph Whitworth (1809 – 1887) auf die Idee kam, die unterschiedlichen Gewinde nach Kenngrößen zu normen, um so einen einheitlichen Gebrauch zu ermöglichen. Die so standardisierten und nach ihm benannten Whitworth-Gewinde wurden rasch in ganz Europa bekannt. Die entsprechenden Kenngrößen der Gewinde sind in der englischen Zolleinheit angegeben, Whitworth-Gewinde werden deshalb auch „Zollgewinde“ genannt. Inzwischen hat sich für Gewindegrößen das metrische Einheitssystem weitgehend durchgesetzt.

… und das Gewinde aus Glas

Die Herstellung von Glas hat eine lange Tradition. Bereits in der Antike lässt es sich nachweisen. Mit der Entwicklung der chemischen Industrie erwuchs spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Bedarf an Laborgeräten aus Glas, die aus genormten Bauteilen zusammengesetzt werden konnten.

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Die heute neben den zweiteiligen Kugel- und Planschliffen dafür am häufigsten eingesetzten, ebenfalls paarigen Kegelschliffe ermöglichen dichte und sogar vakuumfeste Steckverbindungen zwischen den Gerätekomponenten aus Glas und damit den unkomplizierten Aufbau von größeren Anlagen. In neuerer Zeit haben sich für den chemischen Laborbereich dazu noch Verschraubungen von Komponenten mittels Gewinden aus Glas erfolgreich etablieren können.

Da ihre Fertigung weit weniger aufwendig ist als die von geschliffenen Teilen, erfuhr die Herstellung von Spezialgläsern mit Glasgewinden in den letzten 50 Jahren durch Firmen wie Mainzer Schott AG, die Thüringer Normag Labor- und Prozesstechnik GmbH und die amerikanische Corning Inc. einen regelrechten Boom.

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Glasgewinde im Alltag: Die Normbrunnenflasche für Mineralwasser

Nichtsdestotrotz, jeder der Hersteller könnte seine Produkte nicht adäquat auf dem Markt bringen, wenn die Gewinde aus Glas des einen Produzenten nicht mit denen des anderen kompatibel wären.

Klassifizierung von Gewinden

Es dauerte bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts bis zusätzlich zum „zölligen“ System das sich mit der Industrialisierung entwickelnde metrische System in der ISO-Norm für „Mechanische Verbindungselemente“ wiederfand. Diese Normierung im Jahre 1963 wurde dann später, im Jahr 1996, mit der ISO 1502, genauer in den DIN-Normen DIN 13 und DIN 14 in Form des sogenannten „Metrischen ISO-Gewindes“, abgelöst.

Trotz der unterschiedlichen Maßeinheiten haben alle Gewinde, egal ob aus Metall oder Glas, viele Gemeinsamkeiten.

Es wird zwischen Innen- und Außengewinden unterschieden und zwischen rechts- und linksdrehenden Gewinden, die mit RH und LH gekennzeichnet werden. Den größeren Anteil machen die Rechtsgewinde (RH) aus. Die weitere Kennzeichnung von Gewinden, gleich, aus welchem Material – Metall, Kunststoff oder Glas – erfolgt durch Buchstaben, Zahlen und durch die sogenannte Doppelprime (engl.: double prime), den hochgestellten Doppelstrich (“). Doch was bedeuten diese Kürzel?

Das Gewinde G 1/2“

Das Kürzel G steht hier für BSP, British Standard Pipe (deutsch: britische Standardröhre/britisches Standardrohr) und ist ein zölliges Whitworth-Rohrgewinde. Die Bruchzahl 1/2 steht hier für die Abmessung in Zoll und der nachfolgende, hochgestellte Doppelstrich steht für die Maßeinheit Zoll. Demnach handelt es sich im Beispiel um ein Halbzoll Whitworth-Rohr-Gewinde. Der zylindrische Aufbau des Gewindes verhindert, dass es von selbst dichtet.

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Das 1/2″ Whitworth-Rohrgewinde: Der Außendurchmesser entspricht mit ca. 20 mm einer 10-Eurocent-Münze

Das Gewinde GL 14

Das Kürzel GL steht für Rundgewinde gemäß der DIN 168. Die nachgestellte Zahl, hier 14, gibt den jeweiligen Außendurchmesser des Gewindes in Millimetern an. Außen- und Innengewinde unterscheiden sich in diesem Fall in ihrem Flankenwinkel. Der Flankenwinkel, heute auch als Gewindeprofilwinkel bezeichnet, gibt den Winkel von Gewindeflanke zu Gewindeflanke an. Bei Außengewinden beträgt der Flankenwinkel 60°, bei den Innengewinden 30°. In diesen Bereich fallen auch die Glasgewinde mit dem Kürzel GL.

Das Glas-Gewinde GL

Bei Rundgewinden aus Glas (GL) gemäß der auch hierfür gültigen DIN 168, sie löste die frühere DIN 40450 ab, sind die Gewindeflanken nicht kantig, sondern abgerundet. Dieses hat entscheidende Vorteile sowohl für die Herstellung der Gewinde als auch für ihre Funktionsweise. Zum einen ist die Formung dieses Gewindetyps durch Formpressen der Glasschmelze technisch einfach zu realisieren, andererseits weist der Aufbau dieses Gewindetyps, bedingt durch die relativ große Steigung und die breiten Flanken, eine verhältnismäßig hohe Trag- und Zugkraft auf.

Die gerundete Gewindeform bei Glasgewinden führt im Vergleich zu anderen Gewindeformen zu einem widerstandsfähigeren Gewindespiel und einer höheren Unempfindlichkeit gegen Verschmutzungen und mechanische Beschädigungen.

Glasgewinde, ihr Vorteil …

Ein wesentlicher Vorteil von Glasgewinden liegt in dem Werkstoff Glas selbst. Glas ist leicht zu reinigen und kann da, wo es nötig ist, problemlos nach allen üblichen Verfahren sterilisiert werden.

Glasgewinde-Verbindungen sind leicht lösbare Verschraubungen und erfordern im Gegensatz zu Schliffverbindungen zur Abdichtung auch kein Schlifffett. Denn das kann nicht nur zu Verschmutzungen in der Apparatur führen, sondern sich sehr oft unter den Einflüssen von Temperatur und Chemikalien soweit verfestigen, dass vor allen Kegel-Schliffverbindungen nur noch schwer oder gar nicht mehr lösbar werden. Dafür sind Schliff-Dichtungen hochvakuumfest, was mit Verschraubungen nicht erreichbar ist.

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Die „klassische“ Glasgewinde-Verschraubung erfordert beidseits eine Überwurf-Schraubkappe aus Kunststoff mit einem elastischen Klemmring, der die Dichtung der Verbindung bewirkt. Für die Schraubkappe bewährte Kunststoffe sind Acetalharz (POM), Polyetheretherketon (PEEK) oder Polybutylenterephthalat (PBT), die meist noch mit Glasfaser verstärkt werden. Für die Dichtung sind hingegen chemikalienfeste Kunststoffe erforderlich, häufig sind das Polytetrafluorethylen (PTFE) oder andere Fluorcarbon-Kunststoffe. So ähneln Glasgewinde-Verschraubungen den aus der Flüssigchromatographie bekannten Verbindern mit Dichtkonen, den Ferrules.

Einsatzgebiete von Gewinden aus Glas

Die einfachen Technologien, die für die Fertigung von Glasgewinden erforderlich sind, haben ihnen vielseitige Anwendungen erschlossen, nicht nur für das Labor.

In der Labortechnik finden sie für das Verbinden von Baugruppen zu komplexeren Glasapparaturen ein weitreichendes Einsatzgebiet, wo sie die starren und dadurch störanfälligen Kegel-Schliffverbindungen ersetzen können. Darüber hinaus haben sich Glasgewinde mit Kunststoff-Schraubkappen auch für Laborflaschen aus Glas zum Transport oder zur Aufbewahrung von Lösungen und Lösungsmitteln bewährt, die vor dem ausschließlich mit Schliffstopfen zu verschließen waren.

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Ebenso sind Arzneimittel-Fläschchen und Flakons, vor allem aber die zahllosen Glasflaschen und Behältnisse im Haushalt, mit Glasgewinden ausgerüstet, dank derer sie mit Schraubkappen immer wieder verschließbar sind. Letztere dürften auch das Hauptanwendungsgebiet der Glasgewinde ausmachen, die inzwischen mit Erfolg auch die Weinflasche erreicht haben.

Ein klarer Wasserstrahl aus dem Hals einer Glasflasche gewinde-aus-glas
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Das Glasgewinde mit Schraubkappe und einem Kunststoff-Inlay als Dichtung hält sogar geringem Überdruck stand. Beispielhaft steht dafür die 1967 eingeführte Mineralwasserflasche aus Glas, die 0,7-Liter-„Brunneneinheitsflasche“. Die Flasche kann gereinigt und bis zu fünfzigmal wieder verwendet werden, so geben es die Hersteller an, und ist am Ende ihrer Gebrauchsfähigkeit problemlos recycelbar.

Sie kommt mit Schraubkappen aus Leichtmetall oder, immer häufiger, mit den markant blau eingefärbten Schraubkappen aus Acetalharz (POM-C) in den Handel. Allerdings scheint ihr die nahezu baugleiche Einweg-PET-Flasche den Rang abzulaufen, wohl, weil sie sehr viel leichter ist als die Brunneneinheitsflasche aus Glas.


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Normbrunnenflasche | © Rainer Zenz – de.wikipedia.org
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