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Elektrostatische Entladung (ESD) im Labor und Betrieb

Wer kennt das nicht? Gerade noch greifen Sie zur Türklinke, öffnen das Fenster oder begrüßen Ihren Besuch mit einem Handschlag, und bzzz – schon haben Sie „einen gewischt“ bekommen. Wie es zu dieser elektrostatischen Entladung (ESD, Abkürzung für das Englische „electrostatic discharge“) kommt, welches Risiko sie birgt, und wie Sie sich davor schützen können, erfahren Sie im folgenden Artikel.

In vielen alltäglichen Situationen begegnen uns Phänomene, die auf Elektrostatik zurückzuführen sind: das Knistern beim Ausziehen eines Pullovers, das Kleben der Haare am Luftballon, wenn man ihn auf dem Kopf reibt, das Haften von Folien an den Händen beim Öffnen der Verpackung. Und eben auch die schon genannten ESDs. Was daheim in den seltensten Fällen kritische Ausmaße annimmt, kann sich im Labor oder Betrieb gegebenenfalls gänzlich anders darstellen. So können empfindliche elektrische Komponenten bereits von Entladungen geschädigt werden, die der Mensch gar nicht spürt. Im Gegensatz dazu kann eine spürbare Entladung durch Funkenbildung zu einem Brand- oder Explosionsfall führen, wenn in entsprechenden Umgebungen gearbeitet wird. Nicht zu unterschätzen sind Schreckreaktionen, die selbst bei Wegfall von entzündlichen Stoffen zu Unfällen führen können.

Der Elektrostatik auf der Spur: Wie kommt es zur elektrostatischen Aufladung?

Das Aufladen eines Gegenstandes oder einer Person kann unterschiedliche Ursachen haben, wobei die sogenannte Kontaktaufladung zur häufigsten Ursache für Aufladungsvorgänge in der Elektrostatik gehört. Treten zwei Stoffe miteinander in Kontakt, findet ein Ladungsübergang an ihrer gemeinsamen Grenzfläche statt, sodass eine Schicht negativer Ladung auf der einen Oberfläche entsteht, während auf der anderen Oberfläche eine positive Überschussladung verbleibt. Wenn diese Ladungsdifferenz bei der nachfolgenden Trennung der beiden Oberflächen nicht durch Entladung wieder komplett neutralisiert wird, werden die Stoffe zu Trägern von Ladung mit entgegengesetzter Polarität (triboelektrischer Effekt). Bei Reibung zweier Gegenstände aneinander wiederholt sich dieser Vorgang vielfach, und mit geeigneten Stoffen kann eine beachtliche Spannung generiert werden. Insbesondere isolierende Stoffe können so zu großen Ladungsdifferenzen führen, da die Reibungselektrizität nicht abfließen kann.

ESD am Arbeitsplatz: Aufgepasst im Labor und bei der Arbeit!

Reibungselektrizität kann an allen Grenzflächen zwischen festen und/oder flüssigen Phasen entstehen. Das beinhaltet ebenfalls die Förderung von Flüssigkeiten oder Feststoffen durch aufladbare Schläuche, bei der durch Eigenreibung innerhalb des Mediums sowie, durch dessen Reibung an der Schlauchinnenwandung, eine elektrostatische Aufladung erzeugt wird. Reine Gase können zwar nicht aufgeladen werden, wohl aber etwaige im Gasstrom enthaltene Feststoffpartikel oder Flüssigkeitstropfen.

Antistatische und leitfähige Schlauchverbinder

Da elektrostatische Entladungen zu den 13 möglichen Zündquellen zählen, die explosionsfähige Gemische aus Gasen, Dämpfen, Nebeln, oder Stäuben entzünden können, existieren eine Reihe von Vorschriften und Richtlinien zu ihrer Beurteilung und Vermeidung sowie über die zu treffenden Schutzmaßnahmen (Stichwort: „ATEX-Richtlinie“). Mit den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 727 – „Vermeidung von Zündgefahren infolge elektrostatischer Aufladungen“ – werden Anforderungen der Gefahrstoffverordnung in explosionsgefährdeten Bereichen konkretisiert. Das kostenlos erhältliche Dokument nimmt mit über 100 Seiten einen Umfang an, den wir an dieser Stelle nicht vollständig wiedergeben können, ohne den Rahmen eines kurzen Informationsartikels zu ESD zu sprengen. Daher müssen wir uns mit allgemeinen Aussagen zur Vermeidung von Elektrostatik und ESD als Ursache für Brände in ansonsten nur selten oder kurzzeitig gefährdeten Betriebszonen begnügen, und verweisen für ausführliche Studien auf die entsprechenden Informationsquellen (ATEX, TRGS, DIN EN 12115).

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Nichtsdestotrotz steckt auch in den von uns betrachteten, weniger kritischen Labor- und Betriebssituationen der Teufel im Detail! Wer würde bei oberflächlicher Betrachtung annehmen, dass von Behältern wie Fässern oder Kanistern bei Befüllung eine Gefahr durch Elektrostatik bzw. ESD ausgeht?

Wichtigste Schutzmaßnahme: Geerdete, (ab)leitfähige Gegenstände

Die beste Schutzmaßnahme ist und bleibt, Reibungselektrizität durch die richtige Werkstoff-Auswahl gar nicht erst entstehen zu lassen. Das heißt eine eventuell generierte elektrostatische Aufladung abzuleiten, und die Ladung nicht erst anzuhäufen. Die Fähigkeit eines Materials bzw. eines Gegenstandes, dieser Anforderung zu genügen, kann man an seinem Widerstand oder seiner Leitfähigkeit ablesen. Tatsächlich gibt es verschiedene Widerstandsgrößen (Durchgangswiderstand, spezifischer Widerstand, Oberflächenwiderstand, Streifenwiderstand, Ableitwiderstand, etc.), die berücksichtigt werden müssen und nach denen kategorisiert wird. Wir möchten uns jedoch auch an dieser Stelle auf grundsätzliche Hinweise beschränken, und überlassen die Details der TRGS 727.

So haben Isolatoren einen hohen Widerstand, leiten die Ladung also schlecht ab, und sind damit zur Verhütung potenzieller Aufladungen nicht geeignet. Bei bestimmungsgemäßem Betrieb spricht in weniger kritischen Arbeitszonen nichts gegen die Verwendung von isolierenden Materialien, wenn man sich ihrer Eigenschaften bewusst ist. Und dazu gehört nun mal die Fähigkeit, Träger von Elektrostatik bzw. elektrostatischer Ladung zu sein.

Siebgewebe aus PA 6.6 (Polyamid 6.6, Nylon, antistatisch) - Abschnitt  Ablasshahn aus PA 12 - leitfähig

Den Gegensatz zu Isolatoren bilden leitfähige und ableitfähige Materialien, wobei leitfähige Stoffe einen geringeren Widerstand aufweisen als ableitfähige Stoffe. Beide Gruppen sind geeignet, elektrische Aufladungen zu vermeiden und die Gefahr durch ESD zu reduzieren. Ganz wichtig: Elektrische Leiter bzw. ableitfähige Gegenstände können ihre materiellen Sicherheitsvorteile natürlich nur ausspielen, wenn sie auch geerdet sind. Die bloße Verwendung dieser Werkstoffe garantiert Ihnen nicht automatisch die Vermeidung gefährlicher elektrostatischer Entladungen.

An dieser Stelle noch mal ein wichtiger Hinweis: Man darf nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass eine Erdung über Personen und den Fußboden stattfindet.

Genau diese fehlende Erdung ist es ja, die zum Mini-Stromschlag führt, sobald Sie im elektrostatisch-geladenen Zustand einen Türknauf berühren (entweder verfügen Ihre Schuhe über isolierende Sohlen oder Ihr Bodenbelag selbst isoliert). Demzufolge ist eine „echte“ Erdungseinrichtung zum Schutz das Mittel der Wahl.

Auch wenn der Begriff „antistatisch“ an verschiedenen Stellen unterschiedlich verwendet wird (die TRGS verzichtet aus diesem Grund auf eine Definition), sind als „antistatisch“ bezeichnete Gegenstände eine gute Orientierung zur Prävention von elektrostatischen Entladungen. Das betrifft z. B. antistatische Verpackungen, Werkzeuge oder Kleidung.

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Weitere Maßnahmen gegen Elektrostatik und ESD

Beim Befüllen von Behältern wie auch beim Befördern durch Schläuche erhöht sich die Aufladung mit der Fließgeschwindigkeit. Um das elektrostatische Gefahrenpotenzial zu reduzieren, sollten folglich ausreichend niedrige Strömungsgeschwindigkeiten gewählt werden. Meiden Sie außerdem beim Gießen in einen Kanister starkes Verspritzen im Inneren, indem Sie nach Möglichkeit nah am Flüssigkeitsstand eintragen oder gleich eine Unterspiegelabfüllung vornehmen. Auch Gasbläschen oder eine zweite, nicht mischbare Phase tragen bei Flüssigkeitstransport durch einen Schlauch zur Erzeugung von Ladung bei und sollten demzufolge vermieden werden.

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Es existieren auch Fälle, in denen eine Aufladung nicht vermieden werden kann. Dann gilt es, die Elektrostatik und die Ladung so zu beherrschen, dass sie keinen Schaden anrichten kann, d. h. für eine elektrostatische Entladung ohne Funkenbildung zu sorgen. Es mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, aber eine hohe Leitfähigkeit ist in diesem Fall nicht sicherer. Ableitfähige („weniger leitende“) Einrichtungen sind unter diesen Umständen besser geeignet, um elektrische Ströme und Ladungen ohne Funken abzuleiten. Tatsächlich baut sich eine statische Ladung mit der Zeit von selbst ab, wobei die Luftfeuchtigkeit ein wesentlicher Faktor ist: Eine hohe Feuchtigkeit der Luft kann die Leitfähigkeit von Gegenständen beträchtlich erhöhen. Ein Blick auf das Hygrometer und die Ergreifung entsprechender Maßnahmen könnten ebenfalls der Verhütung von ESD am Arbeitsplatz förderlich sein.

Über Dr. Karl-Heinz Heise

Dr. Karl-Heinz Heise studierte an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg Chemie und der vormaligen Technischen Hochschule Dresden Radiochemie und Chemische Kerntechnik. Danach war er bis zur politischen Wende 1989 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf (ZfK) der Akademie der Wissenschaften in verschiedenen Bereichen der Isotopenproduktion und Markierungschemie tätig. 1990 wurde er im neu gegründeten Leibnitz-Forschungszentrum Dresden - Rossendorf, dem heutigen Helmholtz-Zentrum, mit der Leitung der Abteilung für Organische Tracerchemie des Instituts für Radiochemie betraut, die sich mit umweltchemischen Prozessen in den Hinterlassenschaften des Uranbergbaus der DDR befasste. Dr. Heise ist begeisterter Hobby-Numismatiker und beschäftigt sich dabei vornehmlich mit der höfischen Medaillenkunst des 19. Jahrhunderts in Sachsen.