Wir haben es schon oft gesehen: Scheint die Sonne durch einen schmalen Türspalt in unsere Wohnräume, können wir gut beobachten, wie uns eine schier unendlich große Anzahl von schwebenden Partikeln in unserer Atemluft umgibt. Sie sind allgegenwärtig und setzen sich allmählich auf Fußboden, Möbel und allem liebgewonnenen Nippes ab. Wir wischen deshalb regelmäßig Staub oder nehmen den Staubsauger, um die Räume rein zu halten. Doch Reinräume sind sie dadurch noch lange nicht.
Was sind Reinräume und wozu dienen sie?
Reinräume (engl.: clean rooms) sind geschlossene Räumlichkeiten, Containments mit kontrolliertem Zugang, in denen die Konzentration luftgetragener Partikel anthropogener und natürlicher Herkunft, wie Stäube, Fasern, Rauch und Flugasche sowie Pollen, Bakterien und andere Keime, gering gehalten werden können. Sie werden kontinuierlich von gereinigter Luft durchströmt.
Hierdurch werden partikuläre Luftverunreinigungen fortwährend ausgetragen, die aus ablaufenden Prozessen im Reinraum selbst herrühren können, aber vor allem von den Mitarbeitern durch lose Anhaftungen an der Kleidung, Haar oder Haut eingeschleppt werden. Sie machen etwa drei Viertel aller Partikel in einem Reinraum aus, ihre Größe liegt zwischen 10 µm und 50 µm.
Ziel aller Partikel mindernden Maßnahmen in Reinräumen ist es, die Auswirkungen von luftgetragenen Teilchen auf sensible Produktionsprozesse deutlich zu verringern oder sie gänzlich auszuschließen, wie es bei der Halbleiterfertigung oder der Herstellung von Hochglanzlacken für die Automobilindustrie notwendig ist. Sie werden dabei von einem entsprechenden lüftungs- und klimatechnischen Management zur Temperatur-, Druck- und Feuchtigkeitsregulierung unterstützt. Für den produzierenden Pharmabereich, etwa zur Herstellung von Infusionslösungen und Impfstoffen, aber auch für die Lebensmittelindustrie sind Reinräume die unabdingbare Voraussetzung zur Vermeidung von Keimkontaminationen in den Produkten und damit Teil der nötigen, umfangreichen Hygienemaßnahmen.
Als Reinräume gelten auch Räume wie medizinische Operationssäle, Quarantänestationen und medizinische Laboratorien, in denen mit infektiösem Material gearbeitet wird oder Genforschung betrieben wird. Da für diese Räume noch zusätzlich gesonderte Bestimmungen gelten, bleiben sie im Folgenden unberücksichtigt.
Was sind Reinraumklassen
Um die Anforderungen an die Lufthygiene in Reinräumen international zu vereinheitlichen, wurden Reinraumklassen (engl.: particulate air cleanliness classes) mit unterschiedlich hohen Reinheitsgraden festgelegt. Der Reinheitsgrad wird hierbei in erster Linie über die Partikelgröße und die maximal zulässige Partikelkonzentration je Volumeneinheit definiert. Wichtige Regelwerke zu Reinraumklassen sind die DIN EN ISO 14644 und der europäische GMP-Leitfaden.
Die Norm ISO 14644
Die Normreihe ISO 14644 ist heute ein weltweit verbindlicher Standard. Sie basiert auf dem bis Ende 2001 gültigen amerikanischen Standard US FED 209E und enthält neben Informationen zur Klassifizierung und Überwachung der Luftreinheit auch Vorgaben für die Planung, Ausführung und den Betrieb von Reinraumanlagen, zu denen auch Laminar-Flow-Einrichtungen mit gereinigten vertikalen oder horizontalen Luftströmungen, wie Reinluftbänke oder Glove-Boxen, gehören.
Im Teil 1 der ISO-Norm 14644 sind die Reinraumklassen ISO 1 bis ISO 9 mit aufsteigend zulässiger Partikelzahl pro Volumeneinheit definiert. In der höchsten Reinraumklasse ISO 1 dürfen maximal 10 Partikel mit einer Größe von mehr als 0,1 µm je Kubikmeter enthalten sein. In der Klasse ISO 2 sind es bereits zehnmal so viele. Im Fall beider Reinraumklassen dürfen jedoch keine Partikel vorhanden sein, die größer als 0,5 µm sind. Mit aufsteigender Klassennummer steigt sowohl die zulässige Partikelzahl, als auch die erlaubte Partikelgröße. Reinräume der Klassen 1 bis 5 werden vor allem für die Halbleiterproduktion genutzt. Für die Reinraumklassen ISO 7 bis 9 sind nach ISO 14644-1 nur noch Grenzwerte für Partikel mit Größen von mehr als 0,5 µm definiert, wie die nachstehende Reinraumklassen-Tabelle zeigt:
Maximal zulässige Partikelanzahl je m3 und Größe in Reinräumen (EN ISO 14644) | ||||||
≥ 0,1 µm | ≥ 0,2 µm | ≥ 0,3 µm | ≥ 0,5 µm | ≥ 1,0 µm | ≥ 5,0 µm | |
Reinraumklasse | ||||||
ISO 1 Klasse |
10 | – | – | – | – | – |
ISO 2 Klasse |
100 | 24 | 10 | – | – | – |
ISO 3 Klasse |
1.000 | 237 | 102 | 35 | – | – |
ISO 4 Klasse |
10.000 | 2.370 | 1.020 | 352 | 83 | – |
ISO 5 Klasse |
100.000 | 23.700 | 10.200 | 3.520 | 832 | – |
ISO 6 Klasse |
1.000.000 | 237.000 | 102.000 | 35.200 | 8.320 | 293 |
ISO 7 Klasse |
– | – | – | 352.000 | 83.200 | 2.930 |
ISO 8 Klasse |
– | – | – | 3.520.000 | 832.000 | 29.300 |
ISO 9 Klasse |
– | – | – | 35.200.000 | 8.320.000 | 293.000 |
Reinraumklassen in der Pharmazie und im Pharma-Bereich
Für den Pharma-Bereich sind die „technischen“ Reinraumklassen allein nicht ausreichend. Für die aseptische Herstellung von Arzneimitteln sind Reinraumklassen entsprechend dem Anhang 1 des europäischen GMP-Leitfadens verbindlich, wobei GMP für „Good Manufacturing Practice“ steht. Der GMP-Leitfaden enthält Richtlinien zur Sicherung der Qualität von Produktionsabläufen wie auch der technischen Ausstattung, die Richtlinie nennt das „Produktionsumgebung“, für die Herstellung von Arzneiwirkstoffen und Arzneimittelfertigwaren. Die „Grundsätze und Leilinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate“ sind der GMP-Richtlinie 2003/94/EG niedergelegt.
Die Reinraumklassen für die Pharmaproduktion beruhen zwar auf den zulässigen Partikelzahlen, berücksichtigen aber auch die GMP-Empfehlungen zur Keimbelastung in Reinräumen. In der höchsten GMP-Klasse A dürfen zwar 3520 Partikel/m3, die größer als 0,5 µm sind, vorhanden sein, was der Reinraumklasse ISO 5 entspricht, die Zahl der Keime muss hier jedoch kleiner als 1 sein.
Weitere Regelwerke
In der VDI-Richtlinie 2083 „Reinraumtechnik“ werden zusätzliche praktische Betriebsaspekte und branchenspezifische Empfehlungen zur Umsetzung der Anforderungen gegeben. Die Richtlinie benennt außerdem konkrete Anforderungen an Arbeitsoberflächen, Maschinen, Werkzeuge und Prozessmedien.
Für die Pharmaproduktion enthält VDI-Richtlinie 2083 im Untertitel Blatt 18 Vorgaben für die Kontrolle auf Mikroorganismen in den Produkten, die auch Richtlinie für die Lebensmittelindustrie sind.
In der europäische Raumfahrttechnik kommt der ECSS-Q-ST-70-01-Standard „Cleanliness and Contamination Control“ zum Einsatz, in dem Maßnahmen festlegt sind, die Keim-Kontaminationen im Weltraum, der als Reinraum anzusehen ist, sicher ausschließen.
Maßnahmen zur Partikelzahlminimierung
Um das Eintragen von Partikeln in Reinräume weitestgehend zu unterbinden, sind Zugangsbeschränkungen unerlässlich. Nur befugtes und einschlägig geschultes Personal hat über eine Personenschleuse Zutritt zu diesen Räumen, in der nach einem festgelegten Reglement notwendige Hygienemaßnahmen und ein Kleiderwechsel durchgeführt werden.
Die Reinraumkleidung aus fusselfreiem Gewebe ist meist auffällig eingefärbt, um sie von „normaler“ Laborkleidung äußerlich sichtbar unterscheiden zu können. Zusätzlich können, je nach Klasse des Reinraums, Masken, spezielles Schuhwerk, und Handschuhe sowie Haar- und Mundschutz gefordert sein.
In der Personenschleuse freigesetzte Partikel werden mit einer dem Zweck angepassten Abluftströmung abgesaugt. Um die Partikelzahl im Reinraum selbst zu minimieren, wird dem Reinraum über ein mehrstufiges Gasreinigungssystem kontinuierlich gefilterte Luft zugeführt und an anderer Stelle wieder abgeführt. An Arbeitsplätzen wird mit Hilfe einer vertikalen, turbulenzarmen Verdrängungsströmung, die auch als „Laminar Flow“ bezeichnet wird, erreicht, dass sich dort keine Partikel ablagern.
Um einen unkontrollierten Eintrag von Partikeln von außen so gering wie möglich zu halten, werden Reinräume meist mit einem geringem Überdruck in der Größenordnung von 100 Pa betrieben, dem etwa 10 mm Wassersäule entsprechen. Fenster müssen, soweit überhaupt vorhanden, hermetisch verriegelt bleiben. In kerntechnischen Anlagen und radiochemischen Laboratorien wird hingegen mit geringem Unterdruck gleicher Größenordnung gearbeitet. Dazu dient ein aufeinander abgestimmtes Belüftungs- und Filtersystem, um den Austritt jeglichen radioaktiven Materials in die Umgebung sicher auszuschließen.
Reinräume mit besonders hohen Anforderungen
Um den Anforderungen der höchsten Reimraumklassen ISO 2 und ISO 1 zu genügen, sind ihnen oft schon Reinräume geringerer Reinraumklassen vorgelagert. Der Übergang von einer zur anderen Reinraumklasse erfordert jeweils wieder entsprechende Hygienemaßnahmen.
Verhalten von Mitarbeitern
Da der Mensch häufig die primäre Partikelquelle ist, ist es unumgänglich, das vorgeschriebene Prozedere für den Zugang zu einem Reinraum einzuhalten, wie es in den jeweiligen Handbüchern verbindlich festgelegt ist. Sie sind Teil der technischen Dokumentation für die Einrichtung. Als eine der generellen Festlegungen gilt das Verbot, persönliche Gegenstände, wie Taschen, Uhren und Schmuck sowie Lebensmittel oder Getränke, in einen Reinraum mit einzubringen. Computertechnik macht die früher üblichen Labortagebücher in Papierform überflüssig, die nicht selten Quelle von Verunreinigungen waren. Heute sind sie aus Reinräumen verbannt.
Die Reinraumausstattung
Die gesamte Ausstattung von Reinräumen ist darauf ausgerichtet, Partikelemissionen zu vermeiden, aber auch den Luftwechsel oder im Laminar-Flow-Betrieb die Verdrängungsströmung nicht zu behindern.
Das Mobiliar eines Reinraums ist mit glatten Oberflächen ausgerüstet, um Partikelbildung durch Abrieb zu vermeiden. Weil sich Kunststoffe jedoch elektrostatisch aufladen können, werden statt derer dafür vorzugsweise Aluminium und Glas verwendet. Als Sitzgelegenheiten sind spezielle Reinraumstühle entwickelt worden. Sie zeichnen sich durch feste, luftdichte Bezüge und eine spezielle, abriebfeste Mechanik aus. Mit typischen Ableitwiderständen von 10-6 Ohm genügen sie der DIN Norm EN 61340-5-1 und gewährleisten ausreichenden ESD-Schutz, den Schutz vor elektrostatischen Entladungen (engl.: electrostatic discharge) in der trockenen Atmosphäre eines Reinraums.
… und lohnt sich der Aufwand?
Einen gänzlich partikelfreien Reinraum kann es nicht geben, aber die Partikelkonzentration in der Raumluft kann erheblich gemindert werden. Dazu ist beträchtlicher technischer Aufwand erforderlich, der umso höher ist, je geringer die zulässigen Partikelzahlen und Partikelgrößen pro Volumeneinheit sind. Das kann jedoch nur von einem wohldurchdachten und umfassenden Zugangs- und Raumluft-Management geleistet werden, wofür letztendlich auch das neunstufige, an der Praxis orientierte ISO-Reinraumklassen- bzw. Reinheitsklassen-System definiert worden ist.
Wenn wir also unser Handy heute als ein selbstverständliches Utensil des täglichen Lebens nutzen, den Feinkostsalat aus dem Supermarkt mit Genuss essen oder der Schutzimpfung gegen Masern und Grippe bedenkenlos nachkommen können, hat das alles auch etwas mit aufwändiger Reinraumtechnologie zu tun.
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