Bei dem Begriff Glas denkt man zuerst an Trinkgläser oder Fensterscheiben. Aber um welches Material handelt es sich dabei? Glas ist ein amorpher Festkörper, der thermodynamisch als gefrorene, unterkühlte Flüssigkeit bezeichnet wird. Was bedeutet amorph? Unter amorphen Materialien versteht man in der Chemie und der Physik Materialien, bei denen lediglich die Atome im Nahbereich regelmäßig angeordnet sind, was als Nahordnung bezeichnet wird. Wie bei Flüssigkeiten fehlt eine regelmäßige Anordnung der Atome über den Nahbereich hinaus, die sogenannte Fernordnung. Eine Fernordnung ist charakteristisch für Kristallgitter. Aufgrund der fehlenden Kristallstruktur erscheint das Material durchsichtig. Durch Dotierung, der Zugabe weiterer Materialien, können jedoch Farben erzeugt und chemische sowie physikalische Eigenschaften verändert werden.
Schon in der Frühzeit wurde Obsidian, eine natürliche Glasart vulkanischen Ursprungs, wegen ihrer hohen Härte und scharfen Kanten als Klinge, Schaber oder Keil benutzt. Die ersten Objekte, die aus Glas hergestellt wurden, waren Glasperlen. Etwa 1450 v. Chr. entstanden in Ägypten und Mesopotamien die ersten Glasgefäße. In Europa datieren die ältesten Fenster um 1000 n. Chr.
Struktur und Eigenschaften
Hauptbestandteil der meisten Glasarten ist Siliziumdioxid (SiO2). Glas wird durch Schmelzen seiner Bestandteile hergestellt, gefolgt von einer schnellen Abkühlung. Bei der Erstarrung der Schmelze werden zwar Kristallisationskeime gebildet, jedoch wird der Kristallisationsprozess durch die schnelle Abkühlung verhindert. Es entsteht also kein Kristallgitter, sondern ein Netzwerk. Die Bindungswinkel und Bindungslängen sind nicht regelmäßig, die SiO2-Tetraeder sind verzerrt. Glas verfügt über eine Nahordnung in Form von Tetraedern, zeigt aber keine kristalline Fernordnung. Den Übergang von Schmelze zu Festkörper bezeichnet man als Transformationsbereich, der bei vielen Glasarten bei etwa +600 °C liegt.
Die Lichtdurchlässigkeit im sichtbaren Wellenlängenbereich von 380 nm bis 780 nm ist für viele Anwendungen am wichtigsten. Durch Zugabe weiterer Materialien kann diese gezielt verändert werden. So wird durch Zusatz von Kobaltoxid eine Blaufärbung erzielt. Bekannt ist auch das Goldrubinglas durch Zugabe von Goldpurpur, einem Farbpigment, das aus fein verteiltem Gold besteht.
In der Chemie ist die hervorragende chemische Beständigkeit gegenüber Säuren, verdünnten Laugen und organischen Verbindungen von großer Bedeutung. Viele Glasarten werden lediglich von Flusssäure oder konzentrierten Laugen angegriffen.
Glas hat einen niedrigen Wärmeausdehnungskoeffizienten, vor allem im Vergleich zu Metallen: So hat Aluminium mit 24 * 10-6 K-1 einen acht Mal so hohen Wärmeausdehnungskoeffizienten wie Borosilikatglas mit ca. 3 * 10-6 K-1. Weitere Glaseigenschaften sind geringe Wärme- und elektrische Leitfähigkeit.
Die Einteilung der Glasarten kann durch ihren natürlichen oder synthetischen Ursprung, ihre Zusammensetzung, ihre Verwendung oder das Produktionsverfahren erfolgen.
Einteilung der Glasarten nach Zusammensetzung
Am häufigsten vertreten sind anorganische, oxidische Glasarten. Hauptbestandteil dieser Glasarten ist Siliziumdioxid. Besteht das Glas aus reinem SiO2, das als Quarzglas oder Kieselglas bezeichnet wird, spricht man von einem Einkomponentenglas.
Durch Zugabe weiterer Oxide erhält man Zwei- oder Dreikomponentengläser. Das Oxid, das nach SiO2 den größten Anteil in Gewichtsprozent ausmacht, bestimmt die Einordnung. Beispiele für Zweikomponentengläser sind Alkalisilikatgläser, Borosilikatgläser, Bleisilikatgläser und Alumosilikatgläser. Kalk-Natron-Glas, das zu der Gruppe der Alkali-Erdalkalisilikatgläsern gehört, ist ein Vertreter der Dreikomponentengläser.
Die Eigenschaften von anorganischen, oxidischen Glasarten können durch Zugabe weiterer Oxide beeinflusst werden: Aluminiumoxid erhöht die Bruchfestigkeit, Bortrioxid verbessert die chemischen und thermischen Eigenschaften, Bariumoxid oder Bleioxid erhöhen den Brechungsindex und Ceroxid wird zugesetzt, wenn Infrarotstrahlung absorbiert werden soll.
Zu den Vertretern organischer Gläser gehören Bernstein, Acrylglas und Polycarbonat. Aufgrund ihrer geringen Dichte dienen sie als Ausgangsmaterial für Brillengläser. Zum Vergleich: Silikatgläser haben mit 2,5 g/cm³ eine etwa doppelt so hohe Dichte wie Polycarbonat mit 1,2 g/cm³.
Anorganische, nicht-oxidische Glasarten enthalten als Anionen Halogenide oder Chalkogenide und werden entsprechend als Halogenid- oder Chalkogenidgläser bezeichnet. Obwohl diese Glasarten über ein Kristallgitter verfügen und nicht amorph sind, werden sie dennoch der Gruppe der Gläser zugeordnet.
Einteilung der Glasarten nach Verwendung
Für nahezu jede Anwendung steht eine geeignete Glasart zur Verfügung. Dabei müssen bei der Auswahl der Glasart die Kriterien chemische und thermische Beständigkeit, optischer Transmissionsbereich, Wärmeausdehnungskoeffizient, Arbeitstemperatur, mechanische Bruchfestigkeit und nicht zuletzt die Kosten beachtet werden. Nach ihrer Anwendung unterscheidet man technisches Glas, Industrieglas und optisches Glas.
Technische Gläser
Zu der Gruppe der technischen Gläser gehören die Geräte- oder Laborgläser. 1881 entwickelte Otto Schott (1851 – 1935) in Jena sein „Boratglas“ für optische Zwecke. Auch in der Chemie bestand ein Bedarf an einer neuen Glasart. Die bis dahin verwendeten Kalk-Natron- und Bleigläser wurden von Säuren und Laugen angegriffen und waren nicht ausreichend temperaturbeständig.
Aufgrund seiner hohen Beständigkeit gegenüber Säuren, Laugen, Salzlösungen und organischen Verbindungen sowie der hohen Temperaturwechselbeständigkeit ist diese Glasart für die Anwendung im chemischen Labor hervorragend geeignet. Neben Siliziumdioxid enthalten Borosilikatgläser 7% bis 13% Bortrioxid. Bekannte Handelsnamen für Laborgläser sind Jenaer Glas®, Duran® oder Pyrex®.
Im Haushalt findet man diese Glasart in Back- und Auflaufformen. Darüber hinaus werden Schauglas-Armarturen, Glühlampengläser und pharmazeutische Glaswaren wie Ampullen aus Borsilikatglas gefertigt.
Weitere technische Gläser sind Displayscheiben aus Borosilikat- oder Alumosilikatglas. Displayscheiben mit integrierten Schalt- und Tastelementen finden Anwendung bei Informationsdisplays, Spielautomaten, Verkaufsautomaten und in der Industrieautomation.
Industriegläser
Zur Gruppe der Industriegläser zählen Architektur- oder Bauglas. Man unterscheidet je nach Weiterverarbeitung der Schmelze Floatglas (Aufgießen und Fließen), Gussglas (Gießen und Walzen) und Pressglas (Gießen und Pressen). Im Bauwesen wird hauptsächlich Kalk-Natron-Silikatglas als Ausgangsmaterial verwendet. Neben der Lichtdurchlässigkeit ist die Bruchfestigkeit für die Anwendung hier von entscheidender Bedeutung.
Dabei wird die Glasscheibe auf eine Temperatur, die etwa 100 °C über der Transformationstemperatur liegt, erwärmt. Anschließend wird sie rasch abgekühlt, indem kalte Luft über die Oberfläche strömt. Die Oberfläche würde sich jetzt zusammenziehen, was jedoch durch den heißen Kern verhindert wird. Dadurch entsteht auf der Oberfläche eine Zugspannung und im Kern eine Druckspannung. Wurde die Ausgangstemperatur hoch genug gewählt, kann die Zugspannung abgebaut werden. Ansonsten können die auftretenden Zugspannungen zum Bruch der Scheibe führen.
Vorgespanntes Glas zeigt eine deutlich erhöhte Bruchfestigkeit, ist temperaturwechselbeständiger und zerfällt beim Bruch in kleine Stücke mit stumpfen Kanten. Einsatzbereiche sind Glasfassaden, Türen, Trennwände, Scheiben von Autos, Eisenbahnen und Baumaschinen sowie in der Maschinenindustrie als Abdeckgläser und Schaugläser.
Optische Gläser
Die Gruppe der optischen Gläser findet man in optischen Bauteilen wie Linsen, Prismen, Spiegel oder Fenster in Mikroskopen, Objektiven oder Spektroskopen. Zu dieser Glasart gehören Quarzglas, Bleiglas, Borosilikatglas, Halogenid- und Chalkogenidgläser. Für deren Einsatz ist die wellenlängenabhängige Lichtdurchlässigkeit ausschlaggebend. Der Wellenlängenbereich von sichtbarem Licht reicht von 380 nm bis 780 nm, der von Infrarotstrahlung von 780 nm bis 1 mm. Die Lichtdurchlässigkeit beträgt für Quarzglas 170 nm bis 5 µm, für Borsilikatglas 350 nm bis 2,5 µm, Calciumfluorid 200 nm bis 6 µm und für Zinkselenid 600 nm bis 21 µm.
Bleigläser enthalten mindestens 18% Blei(II)oxid. Sie zeichnen sich durch einen hohen Brechungsindex, hohe Dispersion und eine hohe Dichte aus. Heute wird Bleiglas zur Abschirmung von Strahlungsquellen in der Radiologie und Nuklearmedizin sowie für Detektoren in der Kern- und Teilchenphysik eingesetzt. Aber auch für Ziergläser und Edelsteinimitate findet es Anwendung.
Durch die große Anzahl verschiedener Glasarten und der vielfältigen Möglichkeiten der Form- und Farbgebung findet der Werkstoff Glas breite Anwendung in vielen technischen, medizinischen, chemischen und Alltagsbereichen. Die Möglichkeit des Recyclings ist ein weiteres wichtiges Kriterium für den Einsatz dieses Werkstoffs, vor allem in der heutigen Zeit, in der dem Umweltschutz immer größere Bedeutung zukommt.
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