Das chemische Labor – noch immer ist es für den Laien ein Ort, dem ein Hauch des Ungewissen anhaftet. Dabei ist das Labor von heute nicht mehr mit dem Labor früherer Zeiten vergleichbar, als man am offenen Herd noch mit Brennblase und Destillierhaube hantierte. Auch die Retorte ist längst passee, wenngleich sie noch nicht gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Sie ist das Symbol für Chemie schlechthin geblieben. Aber manches andere Laborutensil, das unsere Altvorderen schon nutzten, blieb bis heute im Gebrauch und wurde auch von Neuerungen nicht verdrängt, weil es sich im täglichen Gebrauch bewährt hat. Oft ist es mit dem Namen desjenigen verbunden, der es erdacht und eingeführt hat. Zwei solcher Laborbehälter sind das Becherglas und der Erlenmeyer-Kolben.
Das Becherglas
Das Becherglas gehört zweifelsfrei zur Ausstattung eines jeden chemischen Labors. Dass jedoch der Universalgelehrte Johann Joachim Becher als Namensgeber für das Becherglas steht, scheint abwegig, auch wenn er um 1669 in München wenige Jahre lang ein alchimistisches Labor betrieben hat. Johann Joachim Becher, geboren 1635 zu Speyer und gestorben 1682 in London, diente dem Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn (1617 – 1680) als Leibarzt und Wirtschaftsberater, war Hofmedicus und Mathematiker am Hof des Bayrischen Kurfürsten Ferdinand Maria (1636 – 1679), beriet Kaiser Leopold I. (1640 – 1705) in aktuellen Finanzfragen und den Herzog von Cumberland und Graf von Holderness, Prinz Ruprecht von der Pfalz (1614 – 1682), beim Aufbau der Hüttenindustrie in Schottland.
Den „Becher“ als Gefäß kannte man bereits im Altertum. Im deutschen Sprachgebrauch ist er in heutiger Schreibweise schon im Mittelhochdeutschen nachweisbar, dessen Anfang um das Jahr 1050 datiert wird. Dennoch sind mit dem Becher für das chemische Labor, der heute „Becherglas“ heißt, Namen von Gelehrten früherer Zeit verbunden, die meist schon in Vergessenheit geraten sind.
Der „Griffin-Becher“ ist das übliche, breite Becherglas mit Bördelrand und Ausguss, oft auch noch mit eingebrannter Volumen-Graduierung. Über Griffin selbst ist nicht viel bekannt. Seine Ausbildung erhielt er am Andersonian Institute in Glasgow, einer 1796 von dem Orientalisten und Naturphilosophen John Anderson (1726 – 1796) gegründeten, privaten Ausbildungsstätte, aus der das spätere Royal College of Science and Techology hervorging und bis heute Bestand hat.
In den 1830er Jahren setzte er sein Studium in Heidelberg bei Leopold Gmelin (1788 – 1853) fort, dem Begründer des enzyklopädischen „Handbuchs der anorganischen Chemie“. Danach kehrte Griffin nach Glasgow zurück, wo er sich mit der Entwicklung und dem Handel chemischer Apparaturen befasste.
Die schmale, hohe Form des Becherglases, dessen Durchmesser merkbar kleiner ist als seine Höhe, wird dem schwedischen Chemiker und Entdecker Jöns Jakob Berzelius zugeschrieben und ist als „Berzelius-Becher“ in die ältere Geschichte der Chemie eingegangen.
Berzelius wurde 1779 auf dem Landgut seines Onkels in der südschwedischen Provinz Östergotland geboren und starb 1844 in Stockholm. Er studierte an der Universität in Uppsala Medizin sowie Chemie und gilt als der bedeutendste Chemiker seiner Zeit. Seit 1808 war er Mitglied der königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften.
Auf ihn gehen auch viele Verbesserungen der Laborausrüstung zurück, wie der Spiritusbrenner, der vor allem im klinischen Labor immer noch unentbehrlich ist. Die damalige Bezeichnung „Berzeliuslampe“ hat sich allerdings nicht erhalten.
… und Abwandlungen der Becherglases
Der kaum noch gebräuchliche „Phillips-Becher“ ist ein nach oben leicht konisch geformtes Becherglas mit Bördelrand und Ausguss, den der britische Chemiker Peregrine Phillips (1800 – 1888) aus Bristol eingeführt hat. Phillips, der in seinen frühen Jahren bis 1831 in einer Weinhandlung beschäftigt war, hatte seinem Becherglas damit eine kannenähnliche Form gegeben und es wohl mehr als Probiergefäß für Wein erdacht, als ein Utensil für das chemische Labor.
Seine weit bedeutendere Leistung war indessen die Verfahrensentwicklung für die katalytische Oxidation von Schwefeldioxid (SO2) zu Schwefeltrioxid (SO3), wofür ihm 1831 ein Patent erteilt wurde. Es ist die Grundlage für das inzwischen weltweit genutzte Kontaktverfahren zur Schwefelsäuregewinnung. Ob er daraus jemals Profit gezogen hat, darf bezweifelt werden. Denn erst in den 1920er Jahren, als elementares Platin durch einen effektiveren, auf Vanadiumpentoxid (V2O5) basierenden Katalysator ersetzt werden konnte, war das Verfahren für die industrielle Schwefelsäureproduktion tauglich und verdrängte mehr und mehr das 1746 von dem englischen Arzt und Chemiker John Roebuck (1718 – 1791) aus Birmingham entwickelte Bleikammerverfahren.
Das „Imhoff-Glas“ ist ein nach unten spitz zulaufender, kelchartiger Glasbecher. Es verfügt über eine Volumen-Graduierung und steht, da ihm die Auflagefläche fehlt, in einer Halterung. Sein Namengeber ist der deutsche Bauingenieur Karl Ludwig Imhoff. Der 1876 in Mannheim Geborene studierte in München an der Technischen Universität und an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, wo er auch den Doktortitel erwarb. Imhoff, der sich zeitlebens mit Problemen der Stadtentwässerung, Abwasserbehandlung und Reinhaltung von Flüssen auseinander gesetzt hat, starb hochgeehrt im Jahre 1965 in Essen.
Das Imhoff-Glas, das auch „Imhoff-Trichter“ oder noch viel treffender „Sedimentiergefäß nach Imhoff“ genannt wird, dient der Mengenbestimmung von Sedimenten in Abwässern. Die Graduierung und steile Kelchform des Gefäßes lassen die recht genaue Ablesung auch von nur geringen Mengen sedimentierten Materials zu. So gehört dieses einfache, von Karl Ludwig Imhoff eingeführte Laborgerät noch immer mit zur Laborausstattung eines jeden Abwasserlabors, wie auch sein 1906, bereits im Alter von 30 Jahren verfasstes „Taschenbuch der Stadtentwässerung“, das bis heute als grundlegendes Nachschlagewerk für die Abwasserwirtschaft gilt.
Der Erlenmeyerkolben
Im Jahre 1874 führte der Chemiker und Apotheker Emil Erlenmeyer seinen „Schüttel-Kolben“ ein, der als „Erlenmeyer-Kolben“ (auch Erlenmeyerkolben geschrieben) publik geworden ist. Das konische Glasgefäß mit flachem Boden ist dem Phillips-Becher zwar ähnlich, die Erlenmeyerkolben-Flanken sind jedoch flacher und enden in einem zylindrischen Hals. Unterschieden wird dabei zwischen den Hals-Formen Enghals- und Weithals-Kolben.
Als sogenannte Iodzahlkolben sind Erlenmeyerkolben skaliert und mit Normschliff-Stopfen ausgerüstet. Auch die von Erlenmeyer selbst gewählte Bezeichnung „Schüttelkolben“ lässt Schlüsse auf den nutzbringenden Einsatz des Erlenmeyerkolben zu: die Gefahr des Verspritzens beim Umgang mit Lösungen, die in diesem Kolben aufbewahrt werden, ist durch die konische Formgebung des Erlenmeyer-Kolbens gegenüber dem Becherglas erheblich verringert.
Richard August Carl Emil Erlenmeyer, so der vollständiger Name, wurde 1825 in Wehen, unweit Wiesbadens, geboren. Sein mit 18 Jahren begonnenes Medizinstudium brach er aber schon bald ab und studierte in Heidelberg und Gießen Chemie. Dazu legte er auch noch das pharmazeutische Staatsexamen ab, um seinen Unterhalt zunächst als Apotheker zu bestreiten. Sein Plan, einen ertragreichen, chemisch-pharmazeutischen Betrieb zu gründen, schlug aber fehl.
In Heidelberg nahm er schließlich eine Stelle als Hochschullehrer an. Daneben befasste er sich in seinem Privatlabor mit der Gewinnung und Wirkungsweise von Düngemitteln und beriet Düngemittelproduzenten und Landwirte. 1868 wurde Erlenmeyer an die soeben von König Ludwig II. (1845 – 1886) gegründete Polytechnische Schule in München berufen, der späteren Königlich-Bayrischen Technischen Universität, deren Direktor er bis 1883 war. Er starb 1909 in Aschaffenburg.
Erlenmeyer erfand nicht nur den Erlenmeyerkolben, sondern leistete bedeutende Beiträge zur Strukturaufklärung organisch-chemischer Verbindungen und formulierte zahlreiche Gesetzmäßigkeiten. So erkannte er, dass sich Moleküle mit mehr als einer Hydroxylgruppe an einem Kohlenstoffatom durch Wasserabspaltung stabilisieren. Letzteres ist als „Erlenmeyer‘sche Regel“ in die Wissenschaft eingegangen und wie der Erlenmeyerkolben bis heute bekannt. Sein Postulat, dass Kohlenstoff auch Mehrfachbindungen eingehen kann, wurde wenig später von dem tschechisch-österreichischen Physikochemiker Johann Joseph Loschmidt (1821 – 1895) in Wien bestätigt. Loschmidt war es auch, der die Begriffe „Doppelbindung“ und „Dreifachbindung“ als Fachtermini in die Wissenschaft einführte.
Erlenmeyerkolben und Laborgeräte aus modernen Wertstoffen
Dem Fortschritt der Zeit entsprechend sind Bechergläser und Erlenmeyerkolben heute nicht mehr nur aus Glas zu haben, sondern auch als Laborbecher aus Kunststoffen: als glasklare, leichte Labor-Becher aus Polymethylpenten (PMP/TPX) oder Polycarbonat (PC), als chemisch stabile Laborbecher aus Polytetrafluorethylen (PTFE) oder Polypropylen (PP) und als Labor-Becher aus Perflouralkoxy-Polymer (PFA), die wie gewöhnliche Bechergläser aus Glas auf der Heizplatte erwärmt werden können.
Gleiches gilt auch für Erlenmeyer-Kolben, die als Iodzahlkolben auch als Kolben mit Schraubkappe verfügbar sind. Und auch das Imhoff‘sche Sedimentiergefäß ist, wie der Erlenmeyerkolben, kaum mehr noch aus Glas im Gebrauch; inzwischen hat sich das bruchsichere und damit auch für den Feldeinsatz besser geeignete Sedimentiergefäß nach Imhoff aus SAN, aus glasklarem Styrolacrylnitril, durchgesetzt.
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