Dass Blut dicker ist als Wasser ist eine Binsenweisheit, aber physikalisch nicht verkehrt. Doch gemessen an seiner Viskosität verhält sich Blut nicht nach denselben Regeln wie Wasser, sondern zeigt ein sprunghaftes Fließverhalten. Das macht den Lebenssaft zur nicht Newtonschen Flüssigkeit, im Gegensatz zu Wasser, das sich als Newtonsche Flüssigkeit idealviskos verhält. Ein Einblick in die Welt der fließenden Materie.
Definition Newtonscher und nicht Newtonscher Flüssigkeiten
Flüssigkeiten und Gase können entsprechend ihrem Fließverhalten in zwei grundlegende Klassen eingeteilt werden: die Newtonschen Flüssigkeiten und die nicht Newtonschen Flüssigkeiten. Dieser Begriff geht auf Isaac Newton (1643 – 1727) zurück. Der englische Physiker und Mathematiker beschrieb in seinem Gesetz die Viskosität einer idealen bzw. newtonschen Flüssigkeit und legte damit den Grundstein, um das Verhalten von Fluiden mathematisch zu erfassen.
Bei Newtonschen Flüssigkeiten ist die Schergeschwindigkeit (auch Verzerrungsgeschwindigkeit genannt) proportional zur Scherspannung. Es gilt die folgende Gleichung, die als Newtonsches Gesetz bekannt ist:
𝜏 = η du/dy
η ist eine Proportionalitätskonstante und wird auch als dynamische Viskosität bezeichnet. Die Scherspannung bzw. Schubspannung 𝜏 ist gemäß dieser Gleichung direkt von der Schergeschwindigkeit du/dy abhängig, u ist die Strömungsgeschwindigkeit parallel zur Wand und y die Ortskoordinate orthogonal zur Wand.
Solche Fluide zeigen damit ein linear viskoses Fließverhalten, die Viskosität ist unabhängig von der Belastung stets gleich. Newtonsche Flüssigkeiten weisen das einfachste Fließverhalten auf und ihre Bewegungen lassen sich durch die Gleichungen von Navier-Stokes beschreiben.
Die meisten Fluide, die einem im Alltag begegnen, sind Newtonsche Flüssigkeiten und verhalten sich idealviskos. Beispiele hierfür sind Wasser, Luft, die meisten Lösungsmittel und Gase sowie viele Öle wie etwa Mineralöl.
Was sind nicht Newtonsche Flüssigkeiten?
Die Rheologie, auch Fließkunde genannt, ist das Fachgebiet, das sich mit dem Verhalten und der Strömungsmechanik nicht Newtonscher Flüssigkeiten befasst. Als eine nicht Newtonsche Flüssigkeit wird ein Fluid bezeichnet, das kein idealviskoses Verhalten zeigt.
Nicht Newtonsches Fließverhalten lässt sich auf Abnahme bzw. Zunahme der Wechselwirkungen in einem Fluid bei unterschiedlichen Scherkräften zurückführen. So ändern sich zum Beispiel die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen einer Suspension oder Emulsion, sobald sich die von außen wirkende Kraft ändert, wodurch sich die Viskosität des Systems verändert. Daher sind die meisten Dispersionen nicht idealviskos.
Eigenschaften nicht Newtonscher Flüssigkeiten
Die Viskosität nicht Newtonscher Flüssigkeiten kann bei ansteigender Scherkraft entweder abnehmen, dann werden sie als strukturviskos bezeichnet, oder ansteigen, was als dilatant beschrieben wird. Strukturviskoses Verhalten, also die Abnahme der Viskosität mit steigender Schergeschwindigkeit, ist dabei sehr viel häufiger als dilatantes Verhalten. Strukturviskos, auch scherverdünnend genannt, sind etwa Dispersionen oder geschmolzene Polymere. Dilatantes oder scherverdickendes Verhalten tritt unter anderem bei Stärke in Wasser oder nassem Sand auf.
Wenn die Viskosität nach Verminderung der Scherkraft zeitlich verzögert wieder zu ihrem Ursprungswert zurückkehrt, wird dies entweder als Thixotropie (verzögerte Zunahme der Viskosität) oder Rheopexie (verzögerte Abnahme der Viskosität) bezeichnet. Nach einiger Zeit kehren aber auch diese Fluide für gewöhnlich wieder zu ihrer Ausgangsviskosität zurück. Falls nicht, wird von partieller oder unechter Thixotropie bzw. Rheopexie gesprochen.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal nicht Newtonscher Flüssigkeiten ist, ob diese eine Fließgrenze aufweisen. Fluide mit einer Fließgrenze werden als plastische Fluide bezeichnet, diese Stoffe verhalten sich zunächst wie Feststoffe und „verflüssigen“ sich erst, wenn stärkere Scherkräfte auftreten. Der Punkt des Übergangs vom Festkörper zur Flüssigkeit wird dabei als Fließgrenze bezeichnet. Bei einer Schergeschwindigkeit von Null ist die Viskosität dieser Fluide unendlich hoch. Halbfeste Stoffe wie Salben oder Cremes haben eine Fließgrenze und verhalten sich daher nicht idealviskos.
Im einfachsten Fall ist ein plastisches Fluid bis zu einer gewissen Scherkraft ein Festkörper und darüber verhält es sich wie eine Newtonsche Flüssigkeit. Solche Systeme werden als Bingham-Fluide bezeichnet. Beispiele hierfür sind Ketchup, Mayonnaise, Zahnpasta, Hefeteig oder einige Wandfarben.
Ein cassonscher Stoff bezeichnet ein plastisches Fluid, welches ab einer gewissen Schergeschwindigkeit fließfähig wird und darüber hinaus die Eigenschaften einer nicht Newtonschen Flüssigkeit aufweist, wie dies beispielsweise bei Schokoladenmasse der Fall sein kann.
Beispiele für nicht Newtonsche Flüssigkeiten und deren Verwendung
Eine Liste mit Beispielen bekannter Stoffe mit nicht Newtonschen Fließeigenschaften:
- Die meisten Dispersionen
- Schlämmungen
- Granulate
- Polymerschmelzen
- Schmiermittel und Fette wie etwa Gleitfette, Universalfette und Hochtemperaturfette aus PTFE
- Sprays
- Klebstoffe
- Blut
- Salben und Cremes
- Teige und Stärke-Wasser-Gemische
- Ketchup, Mayonnaise, Pudding
- Glycerin
- Zementleime
- Treibsand
Nicht Newtonsche Flüssigkeiten mit strukturviskosem Verhalten
Ein bekanntes strukturviskoses Fluid mit Fließgrenze ist Wandfarbe. Sie bleibt als elastischer Festkörper auf der Rolle haften und verflüssigt sich erst, wenn die Scherkräfte durch Druck der Rolle auf die Wand so groß werden, dass die Farbe die Fließgrenze überschreitet.
Ketchup verflüssigt bei Krafteinwirkung, beispielsweise durch Schütteln, Klopfen oder Rühren, und ist dann fließfähig, kehrt jedoch in Ruhe schnell wieder in seinen Ausgangszustand zurück. Es zeigt also thixotropes Fließverhalten.
Schon im Mittelalter wurde eine blutähnliche Flüssigkeit mit nicht Newtonschem Verhalten hergestellt. Dazu wurde Eisentrichlorid und Calciumcarbonat, in Form zerkleinerter Eierschalen, in Wasser vermischt. Diese Mischung ist zunächst ein rotbraunes Gel, wandelt sich jedoch, wenn es geschüttelt wird, in eine blutrote Flüssigkeit um. In Ruhe wird sie dann wieder zu einem Gel. Dieser Vorgang lässt sich beliebig oft wiederholen. Auf diesem thixotropen Effekt beruhen vermutlich „Blutwunder“ wie das des heiligen Januarius von Neapel.
Technisch wichtig ist das strukturviskose Verhalten von Polymeren in Lösungen und Schmelzen. Die Polymerketten sind dabei ineinander verschlauft, bei höheren Scherdrücken lösen sich diese Verschlaufungen und die Viskosität sinkt. Daher können dünnwandige Spritzgussteile aus Thermoplasten mit geringerem Druck hergestellt werden als dickwandige.
Nicht Newtonsche Flüssigkeiten mit dilatantem Verhalten
Wird Stärke in Wasser verrührt, ist diese Mischung bei langsamem Rühren zunächst flüssig. Bei stärkerem Rühren bildet sich ein immer dicker werdender Brei, der schließlich sogar bröckelig wird. Diese Bröckchen werden jedoch sehr schnell wieder flüssig und vereinigen sich wieder mit dem Rest des Breis (Rheopexie).
Ähnlich verhält es sich mit Treibsand, der bei langsamen Bewegungen eine niedrige Viskosität aufweist. Wird jedoch versucht, einen eingesunkenen Gegenstand schnell herauszuziehen, erhöht sich die Viskosität und es ist nicht möglich, diesen aus dem Treibsand zu befreien. Dies beruht darauf, dass unter stärkerer Krafteinwirkung das Wasser aus dem Wasser-Sandgemisch herausgedrückt wird und die übrigbleibenden Sandpartikel nun eine sehr viel höhere Viskosität aufweisen.
Auch trockener Sand weist rheopexe Eigenschaften auf. Beispiel: Ein Stab wird in einen Eimer gestellt, der anschließend mit trockenem Sand befüllt wird. Durch Klopfen gegen den Eimer wird der Sand verdichtet. Wird nun versucht, den Stab nach oben aus dem Sand zu ziehen, wirken Scherkräfte auf den Sand und die Sandkörner verhaken sich. Der Eimer lässt sich nun anheben. Nach einiger Zeit lösen sich die Sandkörner aber wieder und können aneinander vorbeigleiten, der Stab löst sich und der Eimer fällt herunter.
Kommerzielle Produkte, die sich dilatante Eigenschaften zu Nutze machen, sind zum Beispiel Hüpfknete oder „Active Protective System“ (APS) Einlagen in Schutzkleidung. Hüpfknete wird unter starkem Druck fest, etwa wenn sie auf den Boden geworfen wird, und springt gummiartig zurück. Auch lässt sie sich zerreißen und zerschlagen. Bleibt sie jedoch eine Weile liegen, verläuft sie wie eine zähe Flüssigkeit. APS-Einlagen werden in Motorradbekleidung eingesetzt und bestehen aus Pads mit dilatanten Gemischen, die die Beweglichkeit nicht einschränken. Bei einer plötzlichen Krafteinwirkung, wie etwa bei einem Sturz, erhärtet das Material und die Kräfte werden auf eine größere Körperoberfläche verteilt.
Bild-Quellen: Beitragsbild | © vittaliya – stock.adobe.com Gemälde von Sir Isaac Newton | © James Thronill after Sir Godfrey Kneller, Public domain, via Wikimedia Commons Grafik: Thixotropie und Rheopexie | © David Spura, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons Grafik: Scherspannung und Schergeschwindigkeit | © Dietmar Haba, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons Ketchup-Flasche wird ausgegossen | © New Africa – stock.adobe.com