EU-Leitlinien und die Sicherheit im chemischen Labor

Wer in einem chemischen Labor arbeitet, ist auch mit Gefahren konfrontiert. Hierzu gehören vor allem ätzende Chemikalien, gesundheitsschädliche Lösemittel und Druckgase. Sind diese Stoffe auch noch brennbar, besteht zusätzlich ein hohes Brand- und Explosionsrisiko. Aber auch heiße Oberflächen von Laborgeräten, UV- und Laserstrahlung, die von Analysensystemen ausgehen können, sowie spannungsführende Teile elektrischer Geräte sind potentielle Gefahrenquellen.

Um die Unversehrtheit aller Labormitarbeiter ständig zu gewährleisten, gelten für Arbeiten im chemischen Labor hohe Sicherheitsstandards. Sie werden sowohl durch technisch-organisatorische Maßnahmen zur Gefahrenminderung und -abwehr als auch durch Regelungen für den persönlichen Schutz realisiert. Darin eingeschlossen sind bindende Vorschriften für die Durchführung von chemischen Arbeiten und Experimenten. Doch wie können in der Praxis Risiken erkannt und vermieden werden, welche Schutzmaßnahmen sind notwendig? Viele Antworten liefern die EU-Leitlinien, die bereits in verbindlichen Regularien zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie der Arbeitshygiene ihre Umsetzungen gefunden haben und auch künftig finden werden.

Worin besteht der Unterschied zwischen EU-Leitlinien und EU-Richtlinien und was sind EU-Verordnungen und EU-Normen?

EU-Leitlinien sind unverbindliche Empfehlungen von Fachgremien, den „Beratenden Ausschüssen“, die von den Mitgliedsstaaten der  Europäischen Union berufen wurden. Die Leitlinien liefern Hinweise und Hilfen für die Erstellung von entsprechenden nationalen Regelwerken. Für die Ausgestaltung der Regularien für die Mitarbeiter im chemischen Labor haben die vom „Beratenden Ausschuss für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“ der Mitgliedsländer der Europäischen Union erarbeiteten „Nicht verbindlichen praktischen Leitlinien zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe bei der Arbeit“ grundsätzliche Bedeutung. Sie beschreiben anhand von Beispielen die Möglichkeiten zur Risikobewertung und enthalten Informationen für Sicherheitsvorkehrungen. Die Leitlinien sind daher insbesondere für die Ausgestaltung von Vorschriften für den Arbeitsschutz maßgeblich, die bei konsequenter Einhaltung mögliche Gesundheits- und Sicherheitsrisiken für Arbeitnehmer ausschließen oder zumindest weitgehend minimieren.

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Europäische Richtlinien sind hingegen Anweisungen, die für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen Charakter und Vorrang gegenüber dem bestehenden, nationalen Recht haben. Sie stellen Mindestanforderungen dar, die innerhalb von der Kommission gesetzter Fristen in „einzelstaatliches Recht“ zu überführen sind. Damit ist dem jeweiligen Staat die Berücksichtigung unverrückbarer, nationaler Gegebenheiten zwar möglich, zugleich werden aber bis dahin geltende, nationale Rechtsvorschriften außer Kraft gesetzt.

Labor fuer Organische Chemie der FH Aachen Campus Juelich
Labor für Organische Chemie der FH Aachen, Campus Jülich

EU-Verordnungen haben dagegen volle Rechtskraft und sind unmittelbar und ohne Verzug von den Mitgliedsstaaten direkt zu übernehmen. Damit werden einheitliche Rechtsvorschriften zur Durchführung von Maßnahmen und zur Beurteilung von bestimmten Sachverhalten in der gesamten Europäischen Union erwirkt.

Gleiches gilt für auch EU-Normen und von den entsprechenden Gremien der Kommission der Europäische Union, entweder dem Europäischen Komitee für Normung (CEN), dem Europäischen Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC) oder dem Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) als gesetzgebende Körperschaften in Kraft gesetzt werden. Sie dienen der Vereinheitlichung (Harmonisierung) von technischen Regeln, Normen und Standards innerhalb der gesamten Europäischen Union.

Sicherheit im Labor

Für die Sicherheit im Labor ist es wichtig, Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Daher ist es verbindlich vorgeschrieben, in einer tätigkeitsbezogenen Gefährdungsbeurteilung vorhandene Gesundheitsgefahren und mögliche Unfallursachen am jeweiligen Laborarbeitsplatz zu ermitteln. Unter Berücksichtigung von vorliegenden EU-Leitlinien und der Bewertung der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines vom normalen Arbeitsablauf abweichenden Ereignisses und daraus folgender Schäden werden Schutzmaßnahmen sowie Verhaltensregeln zur Risikovermeidung oder Risikominderung festgelegt. Sie sind beispielsweise in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) verankert.

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Zu den notwendigen Schutzmaßnahmen im chemischen Labor gehören neben Brandschutzmaßnahmen auch Erste Hilfe-Einrichtungen und Notfallpläne zur Evakuierung eines Labors bei akuter Gefahr. Bei dem Umgang mit gefährlichen Arbeitsstoffen, ist zudem eine regelmäßige Gesundheitsüberwachung durch einen Facharzt für Arbeitsschutz erforderlich. Außerdem besteht für Schwangere und Jugendliche ein besonderer Schutz durch eine Beschränkung beim Umgang mit Risikostoffen, die zum Beispiel das ungeborene Leben schädigen können.

Substitution von Risikostoffen

Wurde im Rahmen der Risikobeurteilung festgestellt, dass ein Stoff gesundheitsgefährdend ist, wie zum Beispiel das als krebserregend eingestufte Benzen (Benzol), ist zu prüfen, ob dieses durch einen weniger gefährlichen Stoff substituiert werden kann. Dieser Stoff könnte beispielsweise Toluen (Toluol) sein, Methylbenzen, das ähnliche Eigenschaften wie Benzen hat. Mit einem Siedepunkt von 110° C gegenüber Benzen mit 80° C ist Toluen jedoch weniger flüchtig. Damit ist sowohl die Vergiftungsgefahr durch Toluendämpfe geringer, als auch die Brandgefahr oder Bildung von explosiblen Luft-Toluen–Gemischen. Weit wichtiger ist jedoch, dass Toluen im Gegensatz zu Benzen nach heutigem Kenntnisstand nicht kanzerogen ist. Trotz der geringeren Flüchtig– und Giftigkeit des Toluens gegenüber Benzen ist es dennoch nötig, möglichst in geschlossenen Apparaturen und unbedingt unter einem Laborabzug zu arbeiten sowie Zündquellen, Funkenbildung und elektrostatische Aufladungen fernzuhalten. Die Verwendung gemäß ATEX-Richtlinie 2014/34/EG zugelassener und mit dem Ex-Zeichen gekennzeichneter elektrischer Geräte ist weiterhin unabdingbar.

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Zur Grundausrüstung im chemischen Labor gehören Schutzbrille, Schutzhandschuhe und Laborkittel

Unter Umständen, beispielsweise beim Umfüllen oder Entsorgen des Lösemittels, kann das Tragen zusätzlicher persönlicher Schutzausrüstungen notwendig werden. Neben dem obligatorischen Laborkittel aus Baumwollstoff, einer Laborschutzbrille und festem Schuhwerk können dieses zum Beispiel lösungsmittelfeste Schutzhandschuhe und eine Schutzmaske mit speziellen Atemfiltern sein. Neue Schutzausrüstungen müssen hierbei entsprechend der aktuellen EU-Verordnung 2016/425, die seit dem 21. April 2019 verbindlich ist, zugelassen sein.

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Um die Einhaltung der zulässigen Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) gewährleisten zu können, ist die Raumluft-Konzentration des Lösungsmittels zu ermitteln. Zulässige Richtwerte hierfür enthält die europäische Richtlinie 2004/37/EG, auf die sich auch die in Deutschland gültigen Arbeitsplatzgrenzwerte des Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) beziehen. Sie sind in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TGRS) gelistet. Gemäß der TRGS 900 liegt der AGW für Toluen bei 190 mg/m3. Wird dieser Wert eingehalten, sind nach derzeitigem Wissen langfristig keine Gesundheitsschäden durch Toluendämpfe in der Luft zu erwarten. Für Benzen beträgt der AGW hingegen nur 3,25 mg/m3.

Information der Labormitarbeiter

Der Arbeitgeber ist nachweislich dazu verpflichtet, seine Mitarbeiter in die durchzuführenden Arbeiten gründlich einzuweisen, Gefahrenbereiche erkennbar zu kennzeichnen und sie über die Handhabung von Schutzeinrichtungen und Schutzausrüstungen zu schulen.

Gefahrenbereiche werden durch rot-weiße Verbotszeichen oder schwarz-gelbe Warnzeichen kenntlich gemacht, auf die Pflicht, persönliche Schutzausrüstungen zu verwenden, wird durch blau-weiße Gebotszeichen hingewiesen, wie die nachstehenden Zeichenbeispiele zeigen:

Verbotszeichen

„Offenes Feuer“ 

Warnzeichen

„Explosionsgefahr“ 

Gebotszeichen

„Lärmschutz tragen“ 

In jeder Betriebsanweisung müssen mindestens jene konkreten Informationen zu Gefährdungen, persönlichen Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln für den Umgang mit Gefahrstoffen beschrieben sein, die in den stoffbezogenen EU-Sicherheitsdatenblättern niedergelegt sind.

Die Kennzeichnung von Arbeitsstoffen

Alle Laborbehältnisse und Laborgefäße müssen mit dem jeweiligen Inhaltsstoff beschriftet sein. Gefahren, die von einem Stoff ausgehen können, werden gemäß dem EU-weit gültigen Global Harmonisierten System (GHS; engl.: Globally Harmonised System) eingestuft und durch standardisierte Gefahrensätze, Sicherheitshinweise und Gefahrenpiktogramme gekennzeichnet.

Korrekte Kennzeichnung einer Ethanolflasche EU-Leitlinien und die Sicherheit im chemischen Labor
Korrekte Kennzeichnung einer Ethanolflasche

Die Vorgaben zur Stoffsicherheit sind in praktischen Leitlinien zur CLP-Verordnung 1272/2008 (engl.: Classification, Labelling and Packaging) der Europäischen Chemikalienagentur ECHA beschrieben. Die ECHA stellt auch eine Datenbank zur Verfügung, in der Informationen zur Einstufung und Kennzeichnung einzelner Chemikalien enthalten sind. Die nachstehenden GHS-Gefahren-Piktogramme stehen beispielgebend für Benzen, das einerseits brennbar ist und die Atemwege reizt, aber auch nachhaltige Gesundheitsschäden verursachen kann.

„brennbar“  „reizend“  „gesundheits-
schädigend“ 

Die europäische Agentur für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz EU-OSHA (EU-OSHA = European Occupational Safety and Health Agency) stellt auf ihrer Website aktuelle Informationen zum Arbeitsschutz zur Verfügung. Hier können auch die europäischen Arbeitsschutz-Leitlinien abgerufen werden. Neben den bereits erwähnten Leitlinien zur Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe, die sich auch mit Messmethoden für die Überwachung chemischer Arbeitsstoffe befassen, sind dort auch die ATEX-Richtlinien 1999/92/EG und 2014/334/EU mit praktische Hilfen für das Arbeiten mit zündfähigen Stoffen und den Einsatz elektrischer Geräten in explosionsgefährdeten Bereichen einsehbar.

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Weitere Leitlinien der EU-OSHA befassen sich mit den besonderen Gefahren, wie sie von modernen Nanomaterialien, Asbest oder kristallinen Silikaten ausgehen können. Sie geben auch Hinweise zu physikalischen Risiken. Hierzu gehören Gefahren, die von Schall, Vibrationen, hohen Drücken, künstlichen Strahlungsquellen und elektromagnetischen Feldern ausgelöst werden können. Die ECHA-Leitlinie für Arbeitgeber zur Überwachung von Risiken durch Chemikalien an der Schnittstelle zwischen Richtlinie 98/24/EG zu gefährlichen Arbeitsstoffen und REACH gibt zudem Hinweise für den Umgang mit Hoch-Risikostoffen und mit Stoffen, die einer gesetzlichen Verwendungsbeschränkung unterliegen.

Nationale Leitlinien

Viele Vorgaben der europäischen Arbeitsschutz-Richtlinien sind in Gesetze und Regelwerke, wie die „Betriebssicherheitsverordnung“ (BetrSichV) und die „Gefahrstoffverordnung“ (GefStoffV) eingeflossen. Außerdem gelten für den Umgang mit chemischen Arbeitsstoffen die „Technischen Regeln für Gefahrstoffe“ (TRGS) und die „Unfallverhütungsvorschriften der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ (DGUV). Speziell die Laborrichtlinie DGUV 213-850 „Sicheres Arbeiten in Laboratorien“ beschreibt Vorgaben zur Sicherheit im Labor sowie die hierfür notwendigen Verhaltensregeln und gehört zu den maßgelichen Laborrichtlinien. Hierzu gehört, dass jeder Mitarbeiter im Interesse seiner eigenen Sicherheit und der seiner Kollegen verpflichtet ist, alle Laboreinrichtungen, Geräte, Chemikalien und Schutzausrüstungen nur bestimmungsgemäß zu verwenden.

Erkennbare Mängel und Gefahrenquellen jedweder Art sind unverzüglich zu beseitigen, bei fehlender Sachkunde ist der jeweilige Vorgesetzte oder Verantwortliche für die Laborsicherheit unmittelbar zu benachrichtigen.

Neben geeigneter Arbeitskleidung und allgemeinen Vorkehrungen, wie das Ablegen von Schmuck oder das strikte Alkoholverbot, muss selbstverständlich auch vermieden werden, sich unnötig in Gefahrenbereichen aufzuhalten. Schließlich tragen zur Sicherheit aller auch gründliche Fachkenntnisse bei, wie sie nur durch eine umfassende labortechnische Ausbildung erworben werden können.


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Korrekte Kennzeichnung einer Ethanolflasche | © mewaji – stock.adobe.com

Über Clemens Brüse

Herr Clemens Brüse, von Hause aus Diplom-Chemieingenieur, ist als Online-Redakteur für unser Unternehmen tätig. Sein überragendes Allgemeinwissen und seine hervorragenden Fachkenntnisse, welche er sich über lange Jahre erarbeitet hat, setzt er bei uns zur Erstellung gut strukturierter und leicht verständlicher Fachbeiträge mit viel Praxisbezug ein. Hierzu trägt seine langjährige Berufserfahrung im Bereich der chemischen Analytik, der Gasmesstechnik sowie dem Qualitätsmanagement und der technischen Dokumentation bei. Seine Freizeit verbringt Herr Brüse mit seiner Freundin und fährt gerne mit dem Rad durch die münsterländische Parklandschaft. Er tanzt gerne zu guter Musik oder nutzt die umliegenden Schwimmbäder für ein paar Bahnen im warmen Wasser. Am Wochenende entspannt er beim Lösen kniffliger Rätselaufgaben.