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Reversible Klebstoffe für die Verbindungs- und Befestigungstechnik

« Lösen, was einmal fest zusammen war »

„Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel“ ist ein altbekanntes Sprichwort. In der Hölle, so hieß es im Mittelalter, würde das Pech unlösbar fest am Schwefel kleben und beide zusammen das infernale Höllenfeuer nähren. Heute ist es jedoch eine eher freundlich gemeinte Redensart. Viele der günstigen Eigenschaften von Industrie-, Kunststoff- und anderen Polymerklebern beruhen auf ihrer besonderen Festigkeit, vorausgesetzt, die Oberfläche war richtig präpariert und der passende Klebstoff ausgewählt.

Was ist aber, wenn eine Verklebung wieder gelöst werden soll? Oft ist das Lösen von Klebeverbindungen genauso wichtig, wie das Verkleben selbst. Ob die Klebewirkung aber nun auf chemischen Reaktionen beruht oder rein physikalisch funktioniert, viele der Vorgänge sind eben irreversibel – sie können also nicht rückgängig gemacht werden. Wie es aber Schnecken, Geckos und Muscheln schaffen, die scheinbar fest auf einer Unterlage kleben, sich plötzlich davon abzulösen können und wie ein Klebstoff aus Metall funktioniert, soll der folgende Artikel beleuchten oder anders: den Klebstoffen auf den Zahn fühlen.

Der Einfluss der Temperatur

Ein besonderes Einsatzgebiet für Klebstoffe auf Basis von Polymeren ist die Dental- und Zahntechnik. Hierfür ist die Reversibilität von Klebeverbindungen bei Kronen, Klammern und Prothesen oft mehr als angebracht. Für das schonende Lösen der Klebeverbindungen in den Mundhöhlen der Patienten ist im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein spezieller Klebstoff entwickelt und damit, beinahe wie zufällig, ein neuartiger, thermolabiler Polymerkleber für viele Anwendungen mehr entdeckt worden.

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Der große Vorteil dieses Klebstoffes: das passgenaue, temperaturabhängige Lösen der Klebewirkung, „debonding on demand“, das „Lösen bei Bedarf“, nennt sich das Prinzip, das dahinter steht. Bei Erwärmung brechen die bei Raumtemperatur stabilen, komplexen Strukturen des Polymers auf, so dass sich die Klebverbindung wieder löst. Ursächlich dafür sind Sollbruchstellen im Molekül, die in ihrer Anzahl und der notwendigen Temperatur für den Bruch an die individuellen Anwendungen angepasst werden können – und das auch für Temperaturen weit unter 100° C.

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Würden solche reversiblen Kunststoffe künftig auch Einsatz in der Elektronik-Industrie finden, wäre nicht nur das Recycling von ausgesonderten, elektronischen Geräten weit effektiver. Auch Reparaturen an Smartphones und Tablets wären vermehrt möglich und manches Gerät würde gar nicht erst im Schrott landen, Stichwort „Akku“, weil Bauteile damit zugänglich und auswechselbar wären, die heutzutage noch in nicht lösbaren Vergussmassen fest eingebettet sind.

Ein Metall als Kleber?

Kleben ist im Gegensatz zu anderen Verbindungs- und Befestigungstechniken mit wenig technischem Aufwand zu realisieren. Es ersetzt daher auch immer mehr die industrieüblichen Fügeverfahren, wie das Vernieten, Verschrauben oder Verschweißen, die noch zusätzliches Gewicht mit sich bringen. Das Wiederlösen von Klebeverbindungen ist jedoch meist nicht möglich.

Chemiker Paul Emile Lecoq de Boisbaudran
Der französische Chemiker Paul Émile Lecoq de Boisbaudran (1838 – 1912)

Mit Gallium (Ga), einem 1875 durch den französischen Chemiker Paul Émile Lecoq de Boisbaudran (1838 – 1912) entdeckten Metall, das ungiftig ist und chemisch dem Aluminium ähnelt, aber mit einer Dichte von 5,9 g/cm3 gut doppelt so schwer ist, wie Aluminium, lässt sich die Problematik, Verbindungen und Befestigungen mit wenig Aufwand wieder zu trennen, auf einfache Weise lösen.

Der niedrige Schmelzpunkt von rund 30 °C macht es möglich und die Handhabung ist einfach. Das Metall wird in flüssigem Zustand, also bei Temperaturen über 30 °C, in dünner Schicht auf die vorgewärmten, zu verklebenden Flächen aufgebracht, die sodann, wie beim konventionellen Kleben auch, zueinander gefügt werden. Unterhalb des Schmelzpunktes abgekühlt entsteht so eine feste Verbindung zwischen beiden Werkstoffteilen. Die „Verklebung“ ist auch bei Feuchtigkeit möglich.

Wird die Temperatur über 30° C erhöht, verflüssigt sich das Metall wieder und gibt die miteinander verklebten Teile wieder frei, ohne Rückstände zu hinterlassen. Mit Erfolg kann Gallium auch zur Sicherung von Verschraubungen eingesetzt werden, indem das erwärmte Gewinde mit verflüssigtem Metall „geschmiert“ wird, das nach dem Abkühlen fest wird und die Lockerung der Schraubverbindung verhindert.

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Flüssiges Gallium, das beginnt zu kristallisieren

Wenngleich Gallium ein recht seltenes und damit teures Metall ist, das vor allem für die Halbleiterproduktion von Bedeutung ist, kann es überall dort erfolgreich Anwendung finden, wo besonders schonendes Haften erforderlich ist und die Arbeitstemperatur der so verklebten Teile stets unterhalb von 30 °C bleibt. Ein gewichtiger Vorteil des Metalls ist: der „Kleber“ kann zurück gewonnen und immer wieder eingesetzt werden.

Von Schnecken, Muscheln und Geckos

Es existieren die verrücktesten Bilder von Geckos, die an glatten Glaswänden und auch kopfüber an der Decke hängend über Stunden verweilen können. Und unter Wasser schaffen es Muscheln sich über Jahre an Felswänden und sogar an Schiffsrümpfen fest zu kleben. Wissenschaftlern ist es gelungen, die dahinter stehenden Geheimnisse zu lüften und die beiden unterschiedlichen Haftweisen in einem Klebstoff zu vereinen. Wegen ihrer tierischen Namensgeber nennen sie ihn GECKEL-, GECKO- oder MUSCHEL-Kleber.

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Eine Art „Superkleber“ bewahrt Miesmuscheln davor, bei starken Strömungen ins Meer hinaus gespült zu werden

Stäbchenförmige Strukturen im Bereich von einigen Nanometern an den Füßen von Geckos ermöglichen im Trockenen die Haftung aufgrund der Van-der-Waals’schen Kräfte. Werden diese Strukturen aus Polymeren gebildet, die auf den Klebeproteinen von Muscheln basieren, wird Haftfähigkeit sowohl auf trockenem als auch auf feuchtem Untergrund erreicht. Anwendung finden solche, auf Nanostrukturen basierende Klebstoffe bereits in der Biomedizin, zum Verschließen von Wunden und zukünftig auch zum Verkleben von Knochenbrüchen.

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Allerdings haben Kleber, die auf Nanostrukturen basieren, den entscheidenden Nachteil, dass ihre Haftung nicht besonders fest ist. Das auf Schneckenschleim basierendes Polymer-Gel pHEMA, chemisch Poly(2-hydroxyethylmethacrylat), kann hier Abhilfe schaffen. Im feuchten Zustand verteilt sich das Gel ähnlich dem natürlichen Schneckenschleim besonders gut auf Oberflächen. Nach dem Trocknen nimmt es eine glasartige Struktur an, die die Bauteile extrem gut zusammenhält. Wird die Klebestelle anschließend wieder befeuchtet, können die Bauteile wieder voneinander gelöst werden. Dieser Effekt funktioniert sowohl auf glatten wie auf rauen Oberflächen – bei Feuchtigkeit wäre solch ein Kleber allerdings machtlos.

Dennoch: Sowohl besonders schwere Materialien als auch feine Netzstrukturen von Filtern kann dieser „High-Tech-Kleber“ miteinander verbinden. Seine quervernetzten Polymerstrukturen und das hohe Molekülgewicht sorgen für besonders starke Klebeigenschaften. Inwieweit pHEMA aber tatsächlich den Weg in die Verbindungs- und Befestigungstechnik finden kann, wird die Zukunft zeigen.

Gibt es den „einen“ Superkleber?

Vieles wird heute schon in der Industrie geklebt, statt durch Vernieten, Verschrauben oder Verschweißen die Teile zusammen zu fügen, denn Technologien für das Verkleben sind sehr viel einfacher und damit auch kostengünstiger zu realisieren. Hinzu kommt, dass sich das Gewicht beim Verkleben kaum erhöht. Teilweise erfüllen die Kleber auch noch weitere Funktionen. Sie können die Übertragung von mechanischen Schwingungen mindern und als elektrische und wärmeenergetische Isolierungen fungieren. Auch der Recyclinggedanke spielt bei den Überlegungen für ihren Einsatz in der Klebetechnik eine große Rolle.

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Doch ob je der „eine“ Superkleber gefunden wird, der auf allen Oberflächen funktioniert, der dennoch eine starke Klebewirkung hat und dazu auch noch reversibel ist, bleibt eine offene Frage. Um sie zu beantworten hilft es nicht, an der Vergangenheit kleben zu bleiben, sondern den Blick in die Natur weiter zu schärfen – denn sie ist der wahre Klebexperte, von dem es ganz sicher noch viel zu lernen gibt.


Bildquellen:
Flüssiges Gallium | © Tmv23 & Dblay – commons.wikimedia.org
Miesmuscheln | © Darkone – de.wikipedia.org