« Die Wissenschaft, die Biologie und Informatik vereint »
Die Bioinformatik ist eine noch relativ neue Wissenschaft. Zwar gibt es den Begriff bereits seit 1970, doch bedeutete er damals etwas völlig anderes. Ursprünglich als Studium der Informationsprozesse in biotischen Systemen vorgesehen, ist die Bioinformatik heute die Grenzwissenschaft zwischen der Biologie und der Informatik. Anfang der 90er-Jahre kam dann der große Auftritt, der ihr nicht nur das Rampenlicht, sondern auch den großen Boom beschert hat – das Humangenomprojekt. Seitdem gewinnt diese Disziplin nicht nur immer größere Bedeutung, sie ist aus der medizinisch-biologischen Forschung auch längst nicht mehr wegzudenken.
Computer und Bio – wie passt das zusammen?
Allgemein formuliert ist die Bioinformatik, im Englischen als bioinformatics oder computational biology bezeichnet, die Verknüpfung von Informatik und Biologie. Das heißt, man versucht, computergestützte Methoden auf Probleme und Fragestellungen der Lebenswissenschaften anzuwenden.
Diese wissenschaftliche Großgruppe umfasst die verschiedensten Disziplinen und Bereiche, wie die Medizin, Biologie und Pharmazie, aber auch die Agrartechnologie, Ernährungswissenschaften und Lebensmittelforschung. Aus dieser Vielzahl unterschiedlicher Anwendungsgebiete ergibt sich direkt die besondere Rolle und hohe Relevanz, die die Bioinformatik einnimmt.
Als „Nebenprodukt“ der Computernutzung fallen eine Vielzahl von Daten an, die ohne die Nutzung von Riesenspeichern schon lange nicht mehr handhabbar wären – Stichwort Big Data. Deswegen ist eine Aufgabe der Bioinformatik, Strukturen zu entwickeln, um diese Daten möglichst effizient zu sortieren und der weiteren Nutzung verfügbar zu machen.
Die Aufbereitung und Auswertung der Vielzahl von Daten bieten auch die Möglichkeit, Muster zu erkennen. Dies ist ihre zweite wesentliche Aufgabe. Mit Algorithmen und statistischen Methoden sollen Zusammenhänge innerhalb der Datensätze gefunden werden. So können gezielt Gene in einer Sequenz lokalisiert, 3D-Strukturen von Proteinen erstellt oder diese in „Familien“ sortiert werden.
Wie sich schnell erkennen lässt, ist die Bioinformatik eine hochspezialisierte, interdisziplinäre Wissenschaft, für die umfangreiche Kenntnisse der Biologie und Informatik nötig sind. Aus diesem Grund bieten immer mehr Hochschulen und Universitäten grundlegende und weiterführende Studiengänge mit unterschiedlichen Spezialisierungen an.
Vom Computerbildschirm ins Labor
Die ersten Bioinformatikanwendungen wurden für die Genforschung zur DNA-Sequenzanalyse und für die Vergleiche der Sequenzen entwickelt und angewendet. Die Sequenzanalyse dient noch immer dem schnellen Auffinden von Mustern in Protein- und DNA-Sequenzen.
Will man anschließend wissen, ob zwei Gene oder Proteine homolog, also miteinander verwandt sind, können die fraglichen Strukturen problemlos miteinander verglichen werden.
Dazu werden diese so übereinandergelegt, bis eine möglichst hohe Übereinstimmung erkennbar ist. Ist diese signifikant höher als bei einer zufälligen Ähnlichkeit der Strukturen zu erwarten wäre, kann von einer „Verwandtschaft“ ausgegangen werden. Dies ist insofern wichtig, da die Verwandtschaft eine ähnliche Funktion und Struktur impliziert. Somit kann mithilfe von bekannten Proteinen und Genen auf noch unbekannte geschlossen werden, indem man nach Homologen sucht. Durch die Nutzung von Algorithmen und computergestützten Datenbanken ist die Bioinformatik ein unerlässliches Werkzeug auf der Suche nach unbekannten Genen und deren Funktionen.
Auch in der Genomforschung, der Erforschung des Gesamt-Erbgutes, spielt die Bioinformatik eine zentrale Rolle. So können nicht nur einzelne Bruchstücke der untersuchten DNA gefunden und identifiziert, sondern diese auch zu einer Gesamtsequenz zusammengefügt werden. Diese Technik fand im Humangenomprojekt (HGP) seinen vorläufigen Höhepunkt. Das Projekt wurde im Herbst 1990 von dem italo-amerikanischen Genetiker und Populationsforscher an der Stanford University (CA), Luigi Luca Cavalli-Sforza (1922 – 2018), mit dem Ziel ins Leben gerufen, das komplette menschliche Genom zu entschlüsseln. Das bedeutete, alle Basenpaare und deren Abfolge der menschlichen DNA zu identifizieren.
Knapp 13 Jahre später, seit April 2003, galt das menschliche Genom offiziell als entschlüsselt und das HG-Projekt als erfolgreich abgeschlossen. Die vollständige Sequenzierung der menschlichen DNA spielt eine große Rolle bei der Erforschung von Erbkrankheiten und der Ursachen für die Entstehung von Krebs. Neuartige Methoden, wie CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats), die sogenannte Genschere, mit der DNA gezielt manipuliert werden kann, basieren darauf, dass die Abfolge der Basenpaare bekannt ist.
Doch auch wenn die DNA bekannt ist und man weiß, welche Aminosäure an welcher Stelle steht, ist vieles noch unbekannt. Die Bedeutung vieler Gene liegt bis heute im Dunkeln und wird in Folgeprojekten des HGP erforscht, wie das im Jahr 2008 vom Internationalen Krebsgenom-Konsortium (ICGP) ausgerufene Projekt, das die Molekularanalyse von sehr häufigen Krebsarten, wie Prostata- und Lymphdrüsenkrebs, und die Identifizierung von Krebsmarkern zur Früherkennung sowie die Entwicklung von körperschonenden, verträglichen Therapien zum Ziel hat. Auch hier spielen bioinformatische Methoden eine unerlässliche Rolle, um den Geheimnissen des Lebens weiter auf die Spur zu kommen.
Spezialisiert und vielfältig
Die Bioinformatik ist eine noch sehr junge, hochspezialisierte Wissenschaft. Sie erfordert nicht nur umfangreiche Kenntnisse der Biologie, Mathematik und Informatik, sondern ebenso der Chemie mit den daran angrenzenden Wissenschaftszweigen. Die entsprechenden Studienangebote der Hochschulen und Universitäten werden daher immer umfangreicher.
In Bachelor- und Masterstudiengängen werden grundlegende und vertiefende Kenntnisse der Informatik, Biologie und Mathematik vermittelt. Dazu zählen z.B. Genetik, theoretische Informatik und das Wissen über Algorithmen und Datenstrukturen. Durch spezielle Vertiefungsrichtungen, wie die angewandte oder methodische Bioinformatik, werden je nach Spezialgebiet unterschiedliche Kompetenzen vertieft. Mittlerweile gibt es neben der biologischen Forschung zahlreiche weitere Einsatzfelder, in denen die Bioinformatik eine wichtige Rolle spielt. In der Chemie und Biochemie helfen umfangreiche Reaktions- und Stoffdatenbanken nicht nur dabei, den Überblick zu behalten, sondern auch neue Syntheserouten zu erforschen. Die Visualisierung von chemischen Strukturen ist unerlässlich, um maßgeschneiderte Moleküle für eine gezielte Anwendung zu erzeugen.
Im technologischen Bereich können durch Prozesssteuerung und computergestützte Synthesen die Abläufe optimiert werden, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Aber auch abseits der biochemischen Forschung gibt es viele Möglichkeiten, z.B. in den Bereichen der künstlichen Intelligenz oder der Robotik. So gewinnen interdisziplinäre Wissenschaften, wie die Bioinformatik, durch die immer größer werdende Vernetzung unterschiedlicher Bereiche zunehmend an Bedeutung.
Von Bits, Bytes und Molekülen
Wenn wir heute schon einige Erbkrankheiten erfolgreich behandeln können und verstehen lernen, wie Krebs entsteht und was wir dagegen unternehmen können, verdanken wir dies zu einem großen Teil der Bioinformatik. Durch die Möglichkeit, nicht nur große Datenmengen zu erzeugen, sondern sie auch computergestützt zu verwalten und zu analysieren, konnte nicht nur das menschliche Genom entschlüsselt werden, sondern auch zahlreiche neue Perspektiven zur Gewinnung von neuartigen Wirkstoffen für eine umweltbewahrende Agrarwirtschaft und für Arzneimittel eröffnet werden.
So spezialisiert diese Wissenschaft und die dazugehörige Ausbildung ist, so vielfältig sind die Einsatzgebiete. Von der Strukturentschlüsselung von Genen, über die Simulation von Proteinstrukturen und der computergestützten chemischen Synthese bis hin zur künstlichen Intelligenz: Überall warten neue Herausforderungen darauf, angenommen und gemeistert zu werden.